Werwölfe finden sich im Mittelalter in vielen Geschichten und haben meist wenig mit dem aktuellen Bild eines Werwolf zu tun. Mit der Ausreottung der Wölfe in Deutschland verwinden die Menschen-Wölfe aus den Geschichten, werden aber von den Gebrüdern Grimm noch erwähnt.
Ein Soldat erzählte folgende Geschichte, die seinem eigenen Großvater begegnet sein soll. Dieser, sein Großvater, sey einmal zu Wald holzhauen gegangen, mit einem Gevatter und noch einem dritten, welchen dritten man immer im Verdacht gehabt, daß es nicht ganz richtig mit ihm gewesen; doch so hätte man nichts gewisses davon zu sagen gewußt. Nun hätten die dreie ihre Arbeit getan und wären müde geworden, worauf dieser dritte vorgeschlagen: ob sie nicht ein bischen ausschlafen wollten. Das sey denn nun so geschehen, jeder hätte sich nieder an den Boden gelegt; er, der Großvater, aber nur so getan, als schlief er und die Augen ein wenig aufgemacht. Da hätte der dritte erst recht um sich gesehen, ob die andern auch schliefen und als er solches geglaubt, auf einmal den Gürtel abgeworfen und wäre ein Wärwolf gewesen, doch sehe ein solcher Wärwolf nicht ganz aus, wie ein natürlicher Wolf, sondern etwas anders. Darauf wäre er weggelaufen zu einer nahen Wiese, wo gerade ein jung Füllen gegraset, das hätte er angefallen und gefressen mit Haut und Haar. Hernach wäre er zurückgekommen, hätte den Gürtel wieder umgetan und nun, wie vor, in menschlicher Gestalt dagelegen. Nach einer kleinen Weile, als sie alle zusammen aufgestanden, wären sie heim nach der Stadt gegangen und wie sie eben am Schlagbaum gewesen, hätte jener Dritte über Magenweh geklagt. Da hätte ihm der Großvater heimlich ins Ohr geraunt: „das will ich wohl glauben, wenn man ein Pferd mit Haut und Haar in den Leib gegessen hat;“ – jener aber geantwortet: „hättest du mir das im Wald gesagt, so solltest du es jetzo nicht mehr sagen.“
Ein Weib hatte die Gestalt eines Wärwolfs angenommen und war also einem Schäfer, den sie gehaßt, in die Heerde gefallen und hatte ihm großen Schaden getan. Der Schäfer aber verwundete den Wolf durch einen Beil-Wurf in die Hüfte, so daß er in ein Gebüsch kroch. Da ging der Schäfer ihm nach und gedachte ihn ganz zu überwältigen, aber er fand ein Weib, beschäfftigt, mit einem abgerissenen Stück ihres Kleides das aus der Wunde strömende Blut zu stillen.
Zu Lüttich wurden im Jahr 1610 zwei Zauberer hingerichtet, weil sie sich in Wärwölfe verwandelt und viel Kinder getötet. Sie hatten einen Knaben bei sich von zwölf Jahren, welchen der Teufel zum Raben machte, wenn sie Raub zerrissen und gefressen.
Bei dem magdeburgischen Dorfe Eggenstedt, unweit Sommerschenburg und Schöningen, erhebt sich auf dem Anger nach Seehausen zu ein großer Stein, den das Volk den Wolf- oder Wärwolfs-Stein nennet. Vor langer, langer Zeit hielt sich an dem brandsleber Holze, das sonst mit dem Hackel und dem Harz zusammenhing, ein Unbekannter auf, von dem man nie erfahren hat, wer er sey, noch woher er stamme. Ueberall bekannt unter dem Namen des Alten kam er öfters ohne Aufsehen in die Dörfer, bot seine Dienste an und verrichtete sie zu der Landleute Zufriedenheit. Besonders pflegte er die Hütung der Schafe zu übernehmen. Es geschah, daß in der Heerde des Schäfers Melle zu Neindorf ein niedliches, buntes Lamm fiel; der Unbekannte bat den Schäfer dringend und ohn Ablaß, es ihm zu schenken. Der Schäfer wollt’ es nicht lassen. Am Tag der Schur brauchte Melle den Alten, der ihm dabei half; bei seiner Zurückkunft fand er zwar alles in Ordnung und die Arbeit getan, aber weder den Alten noch das bunte Lamm. Niemand wußte geraume Zeitlang von dem Alten. Endlich stand er einmal unerwartet vor dem Melle, welcher im Kattenthal weidete und rief höhnisch: „guten Tag, Melle, dein bunt Lamm läßt dich grüßen!“ Ergrimmt griff der Schäfer seinen Krummstab und wollte sich rächen. Da wandelte plötzlich der Unbekannte die Gestalt und sprang ihm als Wärwolf entgegen. Der Schäfer erschrack, aber seine Hunde fielen wüthend auf den Wolf, welcher entfloh; verfolgt rann er durch Wald und Thal bis in die Nähe von Eggenstadt. Die Hunde umringten ihn da und der Schäfer rief: „nun sollst du sterben!“ Da stand der Alte wieder in Menschengestalt, flehte bittend um Schonung und erbot sich zu allem: Aber wüthend stürzte der Schäfer mit seinem Stock auf ihn ein, – urplötzlich stand vor ihm ein aufsprießender Dornstrauch. Auch so schonte der Rachsüchtige nicht, sondern zerhieb grausam die Zweige. Noch einmal wandelte sich der Unbekannte in einen Menschen und bat um sein Leben. Allein der hartherzige Melle blieb unerbittlich. Da suchte er als Wärwolf zu entfliehen, aber ein Streich des Melle streckte ihn tot zur Erde. Wo er fiel und beigescharrt wurde, bezeichnet ein Felsstein den Ort und heißt nach ihm auf ewige Zeiten.
In Liefland ist folgende Sage. Wann der Christ-Tag verflossen ist, so geht ein Junge, der mit einem Bein hinkt, herum und fordert alle dem Bösen ergebene, deren eine große Anzahl ist, zusammen und heißt sie nachfolgen. Zaudern etliche darunter und sind säumig, so ist ein anderer großer langer Mann da, der mit einer von Eisen-Drath und Kettlein geflochtenen Peitsche auf sie haut und mit Zwang forttreibt. Er soll so grausam auf die Leute peitschen, daß man nach langer Zeit Flecken und Narben auf ihrem Leib sehen kann, wovon sie viel Schmerzen empfinden.
Sobald sie anheben, ihm zu folgen, gewinnt es das Ansehen, als ob sie ihre vorige Gestalt ablegten und in Wölfe verwandelt würden. Da kommen ihrer ein paar tausende zusammen: der Führer, mit der eisernen Geissel in der Hand, geht voran. Wenn sie nun aufs Feld geführt sind, fallen sie das Vieh grausam an und zerreißen, was sie nur ergreifen können, womit sie große n Schaden tun. Doch Menschen zu verletzen, ist ihnen nicht vergönnt. Kommen sie an ein Wasser, so schlägt der Führer mit seiner Ruthe oder Geissel hinein und teilt es voneinander, so daß sie trockenes Fußes übergehen können. Sind zwölf Tage verflossen, so legen sie die Wärwolfs-Gestalt ab und werden wieder zu Menschen.
Original: Deutsche Sagen der Brüder Grimm von 1816