Zu Stavoren in Friesland waren die Einwohner durch ihren Reichtum stolz und übermüthig geworden, daß sie Hausflur und Türn mit Gold beschlagen ließen, den ärmeren Städten der Nachbarschaft zum Trotz. Von diesen wurden sie daher nicht anders genannt, als: „die verwöhnten Kinder von Stavoren.“ Unter ihnen war besonders eine alte geitzhälsige Witwe, die trug einem Danzigfahrer auf, das beste was er laden könne, für ihre Rechnung mitzubringen. Der Schiffer wußte nichts bessers, als er nahm einige tausend Lasten schönes polnisch Getraid, denn zur Zeit der Abreise hatte die Frucht gar hoch gestanden in Friesland. Unterwegs aber begegnete ihm nichts wie Sturm und Unwetter und nöthigten ihn zu Bornholm überwintern, dergestalt daß wie er Frühjahrs endlich daheim anlangte, das Korn gänzlich im Preise gefallen war und die Witwe zornig die sämmtliche Ladung vor der Stadt in die See werfen ließ. Was geschah? An derselben Stelle that sich, seit der Zeit eine mächtige Sandbank empor, geheißen der Frauensand, drauf nichts als taubes Korn (Wunderkorn, Dünenhelm, weil es die Dünen wider die See helmt [schützt], arunda arenaria ) wuchs und die Sandbank lag vor dem Hafen, den sie sperrte, und der ganze Hafen ging zu Grunde. So wuchs an der Sünde der alten Frau die Buße für die ganze Stadt auf.
Eine weitere Sage zum Frauensand lautet:
Westlich im Südersee wachsen mitten aus dem Meer Gräser und Halme hervor an der Stelle, wo die Kirchtürme und stolzen Häuser der vormaligen Stadt Stavoren in tiefer Flut begraben liegen. Der Reichtum hatte ihre Bewohner ruchlos gemacht, und als das Maaß ihrer Uebelthaten erfüllt war, gingen sie bald zu Grunde. Fischer und Schiffer am Strand des Südersees haben die Sage von Mund zu Mund fortbewahrt.
Die vermögendste aller Insassen der Stadt Stavoren war eine sichere Jungfrau, deren Namen man nicht mehr nennt. Stolz auf ihr Geld und Gut, hart gegen die Menschen, strebte sie blos, ihre Schätze immer noch zu vermehren. Flüche und gotteslästerliche Reden hörte man viel aus ihrem Munde. Auch die übrigen Bürger dieser unmäßig reichen Stadt, zu deren Zeit man Amsterdam noch nicht nannte, und Rotterdam ein kleines Dorf war, hatten den Weg der Tugend verlassen.
Eines Tags rief diese Jungfrau ihren Schiffmeister und befahl ihm auszufahren und eine Ladung des edelsten und besten mitzubringen, was auf der Welt wäre. Vergebens forderte der Seemann, gewohnt an pünktliche und bestimmte Aufträge, nähere Weisung; die Jungfrau bestand zornig auf ihrem Wort und hieß ihn alsbald in die See stechen. Der Schiffmeister fuhr unschlüssig und unsicher ab, er wußte nicht, wie er dem Geheiß seiner Frau, deren bösen, strengen Sinn er wohl kannte, nachkommen möchte und überlegte hin und her, was zu tun. Endlich dachte er: ich will ihr eine Ladung des köstlichsten Weizen bringen, was ist schöners und edlers zu finden auf Erden, als dieß herrliche Korn, dessen kein Mensch entbehren kann? Also steuerte er nach Danzig, befrachtete sein Schiff mit ausgesuchtem Weizen und kehrte alsdann, immer noch unruhig und furchtsam vor dem Ausgang, wieder in seine Heimath zurück. „Wie, Schiffmeister, rief ihm die Jungfrau entgegen, du bist schon hier? ich glaubte dich an der Küste von Africa, um Gold und Elfenbein zu handeln, laß sehen, was du geladen hast.“ Zögernd, denn an ihren Reden sah er schon, wie wenig sein Einkauf ihr behagen würde, antwortete er: „meine Frau, ich führe euch zu den köstlichsten Weizen, der auf dem ganzen Erdreich mag gefunden werden.“ „Weizen, sprach sie, so elendes Zeug bringst du mir?“ – „ich dachte das wäre so elend nicht, was uns unser tägliches und gesundes Brot gibt“
– „ich will dir zeigen, wie verächtlich mir deine Ladung ist; von welcher Seite ist das Schiff geladen?“
– „von der rechten Seite (Stuurboordszyde),“ sprach der Schiffmeister. – „Wohlan, so befehl ich dir, daß du zur Stunde die ganze Ladung auf der linken Seite (Bakboord) in die See schüttest; ich komme selbst hin und sehe, ob mein Befehl erfüllt worden.“
Der Seemann zauderte einen Befehl auszuführen, der sich so greulich an der Gabe Gottes versündigte und berief in Eile alle arme und dürftige Leute aus der Stadt an die Stelle, wo das Schiff lag, durch deren Anblick er seine Herrin zu bewegen hoffte. Sie kam und frug: „wie ist mein Befehl ausgerichtet?“. Da fiel eine Schaar von Armen auf die Knie vor ihr und baten, daß sie ihnen das Korn austheilen möchte, lieber als es vom Meer verschlingen zu lassen. Aber das Herz der Jungfrau war hart wie Stein und sie erneuerte den Befehl, die ganze Ladung schleunig über Bord zu werfen. Da bezwang sich der Schiffmeister länger nicht und rief laut: „nein, diese Bosheit kann Gott nicht ungerächt lassen, wenn es wahr ist, daß der Himmel das Gute lohnt und das Böse straft; ein Tag wird kommen, wo ihr gerne die edlen Körner, die ihr so verspielt, eins nach dem andern auflesen möchtet, euren Hunger damit zu stillenl“ „Wie, rief sie mit höllischem Gelächter, ich soll dürftig werden können? ich soll in Armuth und Brotmangel fallen? So wahr das geschieht, so wahr sollen auch meine Augen diesen Ring wieder erblicken, den ich hier in die Tiefe der See werfe.“ Bei diesem Wort zog sie einen kostbaren Ring vom Finger und warf ihn in die Wellen. Die ganze, Ladung des Schiffes und aller Weizen, der darauf war, wurde also in die See ausgeschüttet.
Was geschieht? Einige Tage darauf ging die Magd dieser Frauen zu Markt, kaufte einen Schelfisch und wollte ihn in der Küche zurichten; als sie ihn aufschnitt, fand sie darin einen kostbaren Ring und zeigte ihn ihrer Frauen. Wie ihn die Meisterin sah, erkannte sie ihn sogleich für ihren Ring, den sie neulich ins Meer geworfen hatte, erbleichte und fühlte die Vorboten der Strafe in ihrem Gewissen. Wie groß war aber ihr Schrecken, als in demselben Augenblick die Botschaft eintraf, ihre ganze aus Morgenland kommende Flotte wäre gestrandet! Wenige Tags darauf kam die neue Zeitung von untergegangenen Schiffen, worauf sie noch reiche Ladungen hatte. Ein anderes Schiff raubten ihr die Mohren und Türken; der Fall einiger Kaufhäuser, worin sie verwickelt war, vollendete bald ihr Unglück und kaum war ein Jahr verflossen, so erfüllte sich die schreckliche Drohung des Schiffmeisters in allen Stücken. Arm und von keinem betrauert, von vielen verhöhnt, sank sie je länger je mehr in Noth und Elend, hungrig bettelte sie Brot vor den Türn und bekam oft keinen Bissen, endlich verkümmerte sie und starb verzweifelnd.
Der Weizen aber, der in das Meer geschüttet worden war, sproß und wuchs das folgende Jahr, doch trug er taube Ähren. Niemand achtete das Warnungszeichen, allein die Ruchlosheit von Stavoren nahm von Jahr zu Jahr überhand, da zog Gott der Herr seine schirmende Hand ab von der bösen Stadt. Auf eine Zeit schöpfte man Hering und Butt aus den Ziehbrunnen und in der Nacht öffnete sich die See und verschwalg mehr als drei Viertel der Stadt in rauschender Flut. Noch beinah jedes Jahr versinken einige Hütten der Insassen und es ist seit der Zeit kein Seegen und kein wohlhabender Mann in Stavoren zu finden. Noch immer wächst jährlich an derselben Stelle ein Gras aus dem Wasser, das kein Kräuterkenner kennt, das keine Blüte trägt und sonst nirgends mehr auf Erden gefunden wird. Der Halm treibt lang und hoch, die Ähre gleicht der Waizenähre, ist aber taub und ohne Körner. Die Sandbank, worauf es grünt, liegt entlangs der Stadt Stavoren und trägt keinen andern Namen als den des Frauensands.
Original: Deutsche Sagen der Brüder Grimm von 1816