Sagen rund um Wittenberg

Inhaltsverzeichnis

Dr. Faust und Melanchthon

Es ist ein Irrthum, wenn man schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts behaupten wollte, Dr. Faust sei zu Wittenberg erzogen und zum Doctor der Theologie gemacht worden, habe daselbst beim äußern Tor an der Schneegasse (die nie existirte) Haus und Garten gehabt und sei im Dorfe Kimlich, eine halbe Meile von Wittenberg, im Beisein etlicher Magister, Baccalaureen und Studenten vom Teufel erwürgt worden. Allerdings ist er in Wittenberg gewesen, ist auch daselbst eine Zeit lang geduldet worden, bis er es zu grob machte, wo man ihn dann gefänglich einziehen wollte, er sich aber auf und davon machte. Er kam einmal daselbst zu Philipp Melanchthon, der las ihm den Text, schalt und vermahnte ihn, daß er von seinen bösen Dingen bei Zeiten abstehen möchte, es werde sonst ein böses Ende nehmen, wie auch geschehen ist. Er aber kehrte sich nicht daran. Nun war es einmal um 10 Uhr, daß der Herr Philippus aus seinem Studierstüblein herunter zu Tische ging und der Faust bei ihm war, den er heftig gescholten hatte; da spricht er zu ihm: »Herr Philippus, Ihr fahret mich allemal mit rauhen Worten an, ich will es einmal machen, wenn Ihr zu Tische gehet, daß alle Töpfe in der Küche zum Schornstein hinausfliegen, so daß Ihr mit Euren Gästen nichts zu essen haben werdet.« Darauf antwortete ihm Philippus: »Das sollst Du wohl bleiben lassen, ich … in Deine Kunst.« Und er ließ es auch.

Ein anderer alter gottesfürchtiger Mann vermahnte ihn auch, er solle sich bekehren. Dem schickte er zur Danksagung einen Teufel in seine Schlafkammer, als jener zu Bette ging, um ihn zu schrecken. Der geht umher in der Kammer und grunzt wie eine Sau. Der Mann aber war unerschrocken, wohl gerüstet im Glauben und spottete sein: »Ei, wie eine feine Stimme und Gesang ist das eines Engels, der im Himmel nicht bleiben konnte, und weil er Gott gleich sein wollte, seiner Hoffarth wegen daraus verstoßen ist, und jetzt in der Leute Häuser geht, in eine Sau verwandelt!« Damit geht der Geist wieder heim zu Faust und klagt ihm, wie er da empfangen und abgewiesen sei, wollte auch da nicht sein, wo man ihm seinen Abfall und Unheil verwies und seiner spottete.

Doctor Faust verführte aber noch einen Studenten. So kannte Doctor Lercheimer selbst einen seiner Freunde noch im hohen Alter, der hatte einen verkrümmten Mund. Wollte derselbe einen Hasen haben, so ging er in den Wald hinaus, machte seinen Hocuspocus und der Hase kam ihm von selbst in die Hände gelaufen.

Teufel, Student und Luther

Es war ein Student zu Wittenberg bei Doctor G.M., der soff und spielte lieber, denn daß er studirte. Da es ihm nun an Geld mangelte und er eines Tages aus dem Tor in schweren Gedanken spazierte, wie er Geld bekommen möchte, begegnete ihm einer, der fragt ihn, warum er so traurig sei, ob es ihm denn an Geld gebreche? Er wolle ihm Geldes genug verschaffen, sofern er sich ihm ergebe und verschreibe, aber nicht mit Tinte, sondern mit seinem eigenen Blute. Er spricht »ja!« Folgenden Tags zur bestimmten Stunde kommen sie da wieder zusammen, dieser bringt die Handschrift und jener das Geld. Der Doctor vermerkt bald, daß der Student Geld hat, verwundert sich, wo es herkomme, weil er wußte, daß seine Eltern ihm keines schickten. Er nimmt ihn vor und fragt ihn, wo er es hergenommen habe? Jener bekennt auch, wie es zugegangen sei. Darüber erschrickt der Doctor sehr, klagt es Dr. M. Luthern und andern, die berufen den Studenten zu sich, schelten ihn aus und lehren ihn, was er tun solle, daß er von solcher Verpflichtung loskäme. Sie selbst aber beten für ihn zu Gott und trotzen dem Teufel so lange, bis er die Handschrift wiederbringt. Also ward der Jüngling dem Teufel auf dem Rachen gerissen und erhalten und wieder zu Gott gebracht.

Der Teufel und die Edelleute

In der Nähe von Wittenberg haben im Jahre 1572 etliche Edelleute eine Hasenjagd oder Hasenkirmeß ausgeschrieben, haben gejagt und die Leute erschreckt, bis sie nicht ein Häslein gesehen, noch ein Eichhörnlein gefangen. Also reiten sie über die zugefrorene Elbe und vor ihnen auf dem Eise und dem Schnee läuft ein Hase, die Edlen setzen ihm nach, aber der Herr und Wächter, der die frommen Leute behütet, brachte sie alle über die Elbe, und erst, als sie hinüber waren, da erschracken sie sehr und wußten selbst nicht, wie es gekommen, daß sie auf ihren schweren Rossen dem Hasen nachgejagt; Darauf dankten sie dem Herrn für seinen gnädigen Schirm und Schutz. Indem geht das Eis aus einander, und wird ein solches Gekrache und Geprassel, daß sie alle hätten sterben und verderben müssen, und das hatte auch der Teufel, der die Hasengestalt angenommen, so haben wollen.

Gespenstige Männer

Im Jahre Christi 1553 im September ist in der Nacht von glaubwürdigen Leuten ein feuriger Mann gesehen worden, der ist um den einen Schloßthurm zu Wittenberg an dem Punkte, wo er anfängt spitz zuzulaufen, herumspaziert. In demselben Jahre am 27. October sind in dem erwähnten Schlosse zu Wittenberg drei Männer in weißen Kleidern erschienen, die sind bei drei Stunden herumgegangen, haben sich an das Geländer gelehnt, hinunter in den Hof und auf den Schloßplatz gesehen, sind in die fürstlichen Gemächer heraus und hinein spaziert und von vielen Leuten gesehen worden.

Das Bier

In der Stadt Wittenberg ist sonst ein starkes und gutes Bier gebraut worden, das hieß Kuckuck. Darum hat man im Scherze gesagt, man höre zu Wittenberg selbst im Winter bei Nacht den Kuckuck schreien.

Der Geister-Hase

Es hat ein Vornehmer vom Adel Doctor M. Luthern sammt andern Gelehrten von Wittenberg in sein Haus oder Schloß, so bei Wittenberg gelegen, zu Gaste geladen. Als er aber, um ihnen eine Kurzweil zu machen, eine Hasenjagd angestellt, ist von allen, so dabei gewesen, ein schöner großer Hase gesehen worden, welcher über das Feld gelaufen kam. Da ihm nun der Edelmann auf seinem starken gesunden Rosse mit Geschrei nacheilte, ist das Pferd plötzlich unter ihm niedergefallen und gestorben, der Hase aber ist in die Luft gefahren und verschwunden.

Der Heck- oder Brotpfennig

Heck- oder Brotpfennige sind nach Volksglauben Münzen, die man nicht ausgeben soll, weil sie für immer mehr Münzen sorgen. Es handelt sich faktisch um verzauberte Münzen, bei denen Hexerei im Spiel sein muss, oft war es aber eher ein Zeichen für Falschgeld.

Im Dorfe Pantschdorf bei Wittenberg hat es sich begeben, daß der Rath letztgenannter Stadt ein altes Weib daselbst gefangen nehmen ließ, die einen sogenannten Heck- oder Brodpfennig hatte. Ihre Zauberei ward aber auf folgende Weise offenbar. Als sie einmal nothwendig aus dem Hause gehen mußte, befahl sie ihrer Magd, wenn sie melken werde, so solle sie die Milch von der ersten Kuh, ehe sie die andern Kühe melke, nehmen, aufsieden und auf Weißbrod, welches in der Schüssel kleingeschnitten stand, gießen und in einen gewissen Kasten, den sie ihr zeigte, setzen. Die gute Magd vergaß aber diesen Befehl oder meinte vielleicht auch, daß es gleichviel wäre, ob sie die Milch vor oder nach dem Melken der andern Kuh koche, deshalb verrichtete sie erst ihre ganze Arbeit, ehe sie dem Befehle ihrer Frau nachkam. Als sie nun den Topf mit der gesottenen Milch in der einen Hand hatte und mit der andern den Kasten aufmachen wollte, ehe sie die Milch auf das Weißbrod goß, sah sie unvermuthet darin ein pechschwarzes Kalb, das den Mund erschrecklich aufsperrte. Ihr Schrecken war so groß, daß sie in diesem Entsetzen den Topf mit der siedenden Milch in den aufgesperrten Rachen des Kalbes oder vielmehr Teufelsgespenstes goß, darauf allerdings dieses höllische Thier hinwegfloh, aber auch das Haus in Brand steckte. Hierauf wurden beide, die Frau und die Magd, gefangen genommen und befragt; die Magd offenbarte der Obrigkeit Alles, und darauf hat die Frau, nachdem man ihr Gnade versprochen, den ganzen Handel mit dem Heckpfennig bekannt, und den Pfennig haben die Bauern des Dorfes nachher noch lange in ihrem Gemeindekasten aufgehoben.

Den Tod vorausgesehen

Friedrich Taubmann, der bekannte Wittenberger Professor, ward krank; da däuchte es ihm eines Morgens am Anfange seiner Krankheit, als wenn er neben seinem Bette einen langen Sarg sähe, worin ein Mann lag, der ihm in Allem ähnlich war. Anfangs hielt er es für eine Augentäuschung, richtete sich deshalb auf und sah etwas ängstlicher nach; da fand er, daß es Wahrheit war und machte sich daraus die Rechnung, daß auf diese Weise der Ausgang seiner Krankheit vorbedeutet werde. Dieses Gesicht erzählte er mit fröhlichem Angesicht seinen Freunden, die ihn besuchten, und bereitete sich zum Tode, der auch am 24. Mai 1613 erfolgte.

Die Wahrzeichen von Wittenberg

Man hat von der Stadt Wittenberg zwei Reime, nämlich:

Wer von Wittenberg kommt mit gefundem Leib, Von Leipzig und Tübingen ohne Weib,

Von Jena und Helmstädt ungeschlagen,

Der kann von großem Glücke sagen.

und

Komm zu Wittenberg in’s Thor, So begegnet Dir ein Schwein, Student oder Hur.

Als Wahrzeichen der Stadt Wittenberg betrachtete man früher ein an der Marienkirche an der Seite gegen Mittag an dem obersten Rande der Mauer gleich unter dem Dache angebrachtes Spottbild, eine in Stein gehauene Sau, an deren Zitzen einige Juden gleich ihren Ferkeln saugen. Ein Rabbiner hebt das Bein und den Schwanz des Thieres in die Höhe, als wenn er etwas genau betrachten wolle. Oben darüber steht die Inschrift: »Rabini Schemhamphoras«. Bekanntlich hat Luther in seinen Schriften mehrmals diese Figur erwähnt. Ein anderes Wahrzeichen ist eine Tafel in der Schloßkirche, worauf die Länge Christi, wie er im Grabe gelegen, angegeben ist; dieses Maaß paßt aber Keinem, der es an sich probirt.

Der Freßkahle

Jacob Kahle war ein Kohlgärtner zu Wittenberg, lebte ums Jahr 1723 und später und hat durch seinen sonderbaren Appetit sich einen weltberühmten Namen gemacht. Die Natur scheint ihn nicht gerade zu diesem derben Appetit gezwungen zu haben, aber für ein Stück Geld war er sogleich bereit, Alles, was man verlangt, zu verzehren, z.B. einen ganzen Schöps, ein Ferkel etc. Dann wieder einmal acht Schock Pflaumen mit den Kernen, ferner vier Metzen Kirschen etc. Dies zeigt von starkem Hunger, aber sein Appetit verschlang auch irdene Tiegel, Krüge, Schüsseln, Teller etc., ja sogar einmal einen halben Ofen, ferner Glas, Kieselsteine zerquetschte er mit den Zähnen und wenn er in die Bürgerhäuser kam, bat er um eine Kieselsteinsuppe. Man gab ihm dann eine gute Brühsuppe mit Brod; gewöhnlich ließ er die Steine liegen, verlangte man’s aber, so aß er sie. Ein anderes Mal verschlang er für Geld einen ganzen Dudelsack, so daß der Spielmann die Flucht ergriff, aus Furcht, daß an ihn selbst die Reihe kommen möchte. Lebendige Thiere, Vögel, Mäuse etc. verschlang er, so daß der eigene Laut dieses Geschöpfes aus seinem Bauche heraus vernommen wurde. Einmal verschluckte er in Gegenwart von sieben, später deshalb eidlich abgehörten Personen ein ganzes Tintenfaß aus Eisen und Zinn, zugleich mit den Federn, Federmesser, Tinte und Sand. Ebenso außerordentlich war seine Stärke mit den Zähnen selbst. Er zog einstmals aus einem Rade mit den Zähnen allein alle die großen Nägel, womit es beschlagen war, heraus. Vermittelst einer bloßen Leine trug er mit den Zähnen den größten Ambos von einer Schmiede weg, den kaum zwei Schmiedegesellen bewegen konnten. Auf seinem Rücken trug er einst vier derbe Bauern aus dem Dorfe Pratau in die Stadt, ohne auszuruhen. Dies trieb er bis ins 60. Jahr, dann fing er aber an mäßig zu leben und brachte sein Leben bis auf 79 Jahre. Als er nach seinem Tode secirt wurde, ward das Innere seines Magens mit langen rauhen Haaren bewachsen gefunden.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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