Inhaltsverzeichnis
Die arme reiche Frau
In der Stadt Stralsund ist um das Jahr 1420 eine sehr schöne Jungfrau gewesen, die aber allein in der Welt stand, denn ihre Eltern waren ihr früh weggestorben. Dieselbe war ebenso reich als schön, hatte Alles in Ueberfluß, freilich aber auch nie gearbeitet und war so üppig erzogen, daß sie sich täglich zweimal in kostbarem Ungarwein badete. Nachdem sie viele Freier abgewiesen, reichte sie dem Säckelmeister der Stadt, Wolflamm geheißen, ihre Hand. Sie feierten eine ungemein prächtige Hochzeit, bei welcher sieben ganzer Tage lang bankettirt wurde, allein die Armen gingen leer aus. In solcher Freude und Herrlichkeit ging es nun aber fort, jedoch dachte weder Er noch Sie daran, daß es einmal mit ihrem Reichtum auf die Neige gehen könne. Ehe es noch so weit kam, pochte an einem sehr kalten Wintertage ein alter armer Mann an ihre Tür und bat, starr vor Kälte, um etwas warmes Essen. Es war gerade Essenszeit und aus den Silberschüsseln dampfte der Geruch von kostbaren Speisen dem Bettler in die Nase, die hochmüthige Frau aber lachte ihm ins Gesicht, stieß mit dem Fuß ihn nach der silbernen Schüssel, aus der gerade der Haushund fraß, und sprach: »Hier kannst Du mit dem Hunde tafeln, der aus Silber seine Knochen verspeist, sie sind auch für Dich gut genug!« Da sah sie der Bettler zornig an und sprach: »Wehe Euch, Frau, mit derselben Hundeschüssel sollt Ihr nach wenigen Jahren noch betteln gehen und dann wird man Euch so tun, wie Ihr jetzt mir thut!« Das ließ sie sich aber nicht kümmern, sondern warf den alten Mann zur Tür hinaus, setzte sich mit ihrem Gemahl zur Tafel und aß und trank nach Herzenslust. Allein die Strafe folgte ihrem Frevel auf dem Fuße, sehr bald waren ihre Reichthümer vergeudet, und als ihr Gatte, der sich nicht an Sparsamkeit und ein einfacheres Leben gewöhnen konnte, sich an der Stadtkasse vergriff, um ihr schwelgerisches Leben fortzuführen, fiel er auf dem Bergener Kirchhof auf Rügen noch eher im Streit durch die Hand eines Herrn von Zaum, als sein Unterschleif an den Tag kam. Nun aber konnte er nicht länger verborgen bleiben, alle ihre Häuser, Felder und Gärten wurden ihr genommen, um den verursachten Schaden zu ersetzen, nichts ward ihr gelassen als ein kleiner Wittwengehalt, allein dabei ward ihr zur Pflicht gemacht, wenn sie nicht auch das Wenige verlieren und aus dem Stadtgebiet gepeitscht sein wolle, mit jener silbernen Hundeschüssel, der einzigen, die sie von ihrer Habe behalten hatte, in die Häuser der Wohlhabenden ansprechen zu gehen und zu sagen, man solle doch der armen reichen Frau um Gottes Willen ein Stück Brod geben.
Der Dänholm
Nahe bei der Stadt Stralsund, rechts wenn man von der Stadt nach Altefähr auf Rügen schifft, liegt ein kleines anmuthiges Eiland, Dänholm geheißen. Diesen Namen hat aber dasselbe davon bekommen, daß, als vor ohngefähr 500 Jahren die Dänen mit einer großen Anzahl Schiffe des Nachts auf diese Insel gekommen waren, um von hier aus die Stadt Stralsund zu überfallen, und einige Schiffer sie gesehen und hierüber Anzeige bei dem Stadtrath von Stralsund gemacht hatten, die Bürger zwar, als muthige und tapfere Leute, rasch in alle Fischerböte, welche sie auftreiben konnten, sprangen und damit nach der Insel fuhren und die Dänen selbst überfielen, allein leider von denselben, gegen deren große Schiffe die kleinen Böte sich nicht gut zur Wehre setzen konnten, zurückgetrieben wurden. Als sie nun wieder ans Land kamen, da kamen ihnen ihre Weiber und Kinder entgegen und schalten sie, daß sie sich von den Dänen hätten schlagen lassen und nöthigten sie umzukehren und ihr Glück nochmals zu versuchen. Das haben sie auch in halber Verzweiflung getan und diesmal den Sieg davongetragen, also daß kaum drei oder vier Schiffe der Dänen sich haben retten können. Von da an hat das Eiland den Namen Dänholm bekommen und seit dieser Zeit wird alljährlich in Stralsund ein großes Fest gefeiert, an welchem die Bürger festlich geschmückt auf kleinen Fischerbooten mit fliegenden Fahnen und unter Kanonendonner die Insel umschiffen.
Herzog Wallenstein vor Stralsund
Bekanntlich soll der Herzog von Friedland, Wallenstein, mit dem Plan umgegangen sein, sich an der Ostsee ein eigenes Reich zu stiften, in welchem er, unabhängig von Kaiser und Reich, als ein König herrschen könne. Nun paßte ihm zu diesem Zwecke die Stadt Stralsund ihres Reichtums und ihrer Lage wegen vorzüglich und er suchte erst durch List sie dahin zu bringen, daß sie einige seiner Regimenter in ihren Mauern aufnehmen möchte. Allein die Bürger durchschauten seine Ränke und ließen sich nicht darauf ein, er zog also mit einer großen Kriegsmacht gegen sie und vermaß sich hoch und theuer, daß von der Stadt Stralsund nichts übrig bleiben solle, möge es ihm auch hunderttausend Menschen und sein eigenes Leben kosten, er müsse sie haben, wenn sie auch mit Ketten an den Himmel geschlossen sei. Am 27. Juni 1628 ließ er Sturm gegen die Stadt laufen, allein diese hatte Hilfe von den Schweden und Dänen bekommen und so ward derselbe glücklich abgeschlagen. Dies hinderte ihn jedoch nicht, die Stadt eng einzuschließen und ihr hart mit seinen Geschützen zuzusetzen, allein die Belagerten antworteten ebenfalls nach Kräften und als der Herzog eines Tages in seinem Zelte, welches im Hainholze unter einer Eiche errichtet war, mitten unter seinen Generalen saß und gerade ein Glas voll Wein zum Munde führen wollte, kam auf einmal eine Paßkugel aus der Stadt geflogen, welche das Glas traf und es ihm in tausend Stücken vor dem Munde zerschlug. Der abergläubische Mann hielt dies für eine Warnung des Schicksals, sein Glück hier nicht weiter aufs Spiel zu setzen, brach sein Lager ab und zog nach Mecklenburg zurück. Die Eiche, unter welcher sein Zelt aufgeschlagen war, steht noch und ein Stein erinnert dort an die Begebenheit. Hier wird alljährlich am 24. Julius, als an dem Tage, wo Wallenstein abzog, das sogenannte Wallensteinfest gefeiert und dabei wacker von den Jünglingen und Jungfrauen Stralsunds getanzt.
Der Katzenritter
Im Jahre 1414 hat der Rath zu Stralsund am Fastnachtsabend ein Fest gegeben, das sogenannte Katzenbeißen. Es wurde nämlich am Pranger, der auf dem alten Markte, dem jetzigen Hauptmarkte, stand, eine Katze angebunden, mit dieser mußte sich ein unbewaffneter Mensch balgen und herumbeißen, der Rath aber und die Bürger sahen zu. Zuletzt biß jedoch der Mensch die Katze tot und nun schlug ihn Herr Johann Culpe, der selbst ein Ritter war, zum Katzenritter.
Der Kampf der Blinden
In dem folgenden Jahre 1415 hat der Rath zu Stralsund zu Fastnacht abermals ein Possenspiel abgehalten. Er ließ nämlich auf dem alten Markte alle Blinden aus der Stadt zusammenkommen, die bekamen jeder eine Keule, und dann ward ein Schwein in ihre Mitte gebracht, das sie mit den Keulen totschlagen sollten, rund um sie her waren aber Planken gezogen, damit das Schwein nicht entlaufen könne. Die blinden Menschen schlugen aber natürlich statt das Schwein zu treffen, mit ihren Keulen auf einander los, daß sie Löcher und Beulen davon trugen. Anfangs ließen sie sich davon nicht stören, zuletzt aber war es ihnen doch zu unbequem, und nun fühlten sie denn wirklich erst hin, ehe sie zuschlugen, wo das Schwein war, und so gelang es ihnen, dasselbe zu töten.
Der Stralsunder Büttel und die grauen Mönche
Im Jahre 1516 starb zu Stralsund ein Büttel, Namens Matthias, ein Mann mit einer so großen Nase, wie man wohl unter hundert Menschen kaum eine findet. Er war aber auch ein sehr gottesfürchtiger Mann, und deshalb sehr angesehen unter den Bürgern, so daß sich keiner schämte, neben ihm sein Glas Bier zu trinken. Als er im Sterben lag, schickte er zu den Mönchen im grauen Kloster, daß sie ihn Beichte hörten und die letzte Oelung gäben, und der Guardian, Johann Wrede aus Lübeck, kam selbst zu ihm und reichte ihm die Sakramente, und am andern Tage starb er. Nun sollte aber der Büttel ein ehrliches Grab bekommen, ganz gegen die Gewohnheit jener Zeit. Da traten die Kapellane der drei Stadtkirchspiele zusammen bei dem Offizial, Herrn Johann Tagge, und dieser befahl darauf, daß man die Leiche auf ungeweihtem offenem Felde begraben solle. Dies that aber Vielen sehr leid. Da kamen auf einmal des Nachmittags um zwei Uhr die grauen Mönche in die Büttelei. Sie kamen aber alle dahin und zogen ihm dieselbe graue Kappe an, welche sie selbst trugen und trugen ein Kreuz vor ihm her, wie bei jeder andern Leiche. Vier Laienbrüder aber trugen ihn in ihren Kreuzgang und da begruben sie ihn, ganz wie einen aus ihrer Mitte. Sie kümmerten sich demnach nicht um das Verbot des Offizials, sondern sie sagten, wer ihr Kleid trage, der werde selig und nicht verdammt, das habe der h. Franziscus von Gott erworben.
Der gotteslästerliche Organist
Es lebte nach der Reformation zu Stralsund ein Organist, Namens Peter Kullen, das war ein so gottloser Mann, daß als er 1543 am Abend der h. drei Könige den Choral: »Christus, unser Heiland« spielen sollte, er dafür das Schemperlied spielte: »Ich sah den Herrn von Falkenstein aus seiner Burg wohl reiten.« Da begab es sich, daß Feuer an demselben Abend in seinem Hause auskam und dasselbe mit aller seiner Habe in Feuer aufging. Weiter ist aber nichts abgebrannt.
Der Teufel in der Nikolaikirche
Im Jahre 1528 lebte zu Stralsund eine Magd, die war vom bösen Geiste besessen. Sie war bis dahin stets eine stille und ordentliche Person gewesen, als sie aber einmal in der Küche Kessel und Töpfe von der Wand nehmen wollte, um selbige zu scheuern, warf sie sie herab auf die Erde und rief mit lauter Stimme: »ich will heraus!« Daraus sah man, daß sie vom Teufel besessen war. Deshalb nahm sie ihre Mutter zu sich und sie wurde etliche Male auf einem Schlitten in die St. Nikolauskirche geführt, damit man dort den bösen Geist von ihr austreibe. Da gestand derselbe denn, es habe eines Tages die Mutter der Magd auf dem Markte einen frischen sauern Käse gekauft und denselben in einen Schrank gesetzt, die Magd sei aber ohne Wissen ihrer Mutter an den Schrank gekommen und habe ein groß Stück von dem Käse verzehrt, die Mutter aber, so dies nicht gewußt, habe dem, der das getan, den bösen Geist in den Leib geflucht, und von Stund an habe derselbe sich nun bei ihrer Tochter einquartirt. Gleichwohl ist aber die Magd unterdessen mehrmals zum Abendmahl gegangen, der Teufel aber befragt, wie das möglich sei, hat geantwortet: »Es liege wohl manchmal ein Schalk unter der Brücke und lasse einen frommen Mann über sich gehen; während die Magd das Abendmahl genommen, habe er ihr unter der Zunge gesessen.«
Dieser böse Geist konnte nun aber lange Zeit nicht aus der Magd herausgebannt werden, denn so oft ihn der Geistliche austreiben wollte, hat er mit ihm Spaß gemacht. Er forderte immer die Erlaubniß, dies oder jenes, wenn er ausfahren solle, mitnehmen zu dürfen, und wenn man ihm das eine zugestand, so hatte er stets etwas Anderes in Petto. So forderte er eines Tages vom Prediger in der Kirche, daß er von einem Manne, der daselbst den Hut auf dem Kopfe behalten hatte, den Hut mitnehmen dürfe, allein der Prediger hat es ihm nicht erlaubt, er dachte, er werde auch den Kopf und den ganzen Leib mitnehmen. Endlich aber als er gemerkt hat, daß seine Zeit da sei und er nun fort müsse, da hat er eine Scheibe aus dem Kirchenfenster über der Turmuhr verlangt. Dies hat man ihm zugestanden und da hat man denn gesehen, daß mit lautem Klingen sich die Raute aus dem Fenster gelöset hat und mit dem Teufel davongeflogen ist. Die Magd aber hat nachmals, nachdem sie von dem Bösen erlöset worden, einen Mann bekommen und mit ihm viele Kinder gezeugt.
Der Kalandsornat
Auf der sogenannten Achtmannskammer zu Stralsund befinden sich zwei Schränke, diese heißen die Kalandsschränke, sie haben der sogenannten Kalandsbrüderschaft gehört, sind doppeltürig, schmal und ruhen auf sehr hohen Füßen. Die Türn sind auswendig bemalt. Auf der einen steht ein Priester, die rechte Hand zum Segensprechen ausgestreckt, unter dem linken Arme ein Buch haltend, auf der andern sieht man einen Mann in weltlicher Kleidung, einen speerähnlichen Stab in der Hand, vor sich einen Knaben mit einem Buche. In diesen Schränken liegen zwei Chorhemden und ein Meßgewand von schwerer Seide, reich mit Gold und künstlichen Figuren gestickt, eine Mütze von geblümtem seidnem Zeuge an beiden Seiten aufgeschlagen, ein Beutel ebenfalls gestickt und zum Tragen des Gebetbuches bestimmt, und ein kleines seidnes gesticktes Kissen, an den Enden wie eine Bratwurst zusammengebunden. Wer sich aber untersteht, diesen Ornat eines Kalandsbruders anzurühren oder mit ihm Spott zu treiben, dem bekommt es schlecht. Einst bekleidete sich ein Stralsunder Bürgermeister trotzdem, daß ihn Jedermann warnte, damit, am andern Morgen fand man ihn tot im Bette. Das war die Rache der Kalandsbrüder.
Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates