Inhaltsverzeichnis
Der heilige Suederus
Einstmals speiseten zu Soest verschiedene heidnische Westphälinger, zu diesen begab sich Suederus und als sie von der Macht ihrer Götter und der Ohnmacht Christi disputirten, trat Suederus auf, vertheidigte den Heiland und erzählte besonders die Wunder, die Christus durch die Verdienste des Suibertus getan hatte. Als nun den Heiden daraus kund ward, daß Suederus ein Christ sei, wurden sie ergrimmt, griffen, schlugen und peinigten ihn, stießen ihn endlich heraus und schnitten ihm die Zunge aus. Kaum waren sie voller Freuden und in der Meinung, daß sie ein großes Werk getan hätten, zu ihrem Schmause zurückgekommen, so wurden ihre Speisen zu Steinen, sie aber wurden des Augenlichts beraubt. Wie sie nun dadurch zur Erkenntniß ihres Unrechts, an Christi und seinem Knechte Suederus verübt, gebracht wurden, ließen sie sich zu denselben führen und baten ihn um Verzeihung. Hierzu war aber Suederus nicht allein willig, sondern er versprach ihnen auch Hilfe, wenn sie sich mit ihm gen Werden nach dem Grabe des heil. Suibertus begeben würden. Der Vorschlag wurde in’s Werk gerichtet und sie reiseten zusammen nach Werden. Kaum waren sie daselbst angekommen, so wurden sie alle nebst dem Sueder, welcher in seinem Herzen den Suibert angerufen hatte, durch dieses Mannes Verdienst geheilt, wodurch denn nicht allein sie selbst, sondern auch hernach noch viele Andere zu Soest bekehrt worden sind.
Das Muttergottesbild
In der Stadt Soest war einmal ein Bürgermeister, der hieß von Schueren. Er war ein sehr alter Mann und schon so schwach und gebrechlich, daß er kaum mehr gehen konnte. Diesem ist einmal im Schlafe eine Stimme vorgekommen, die also geredet hat: »Stehe auf und nimm unserer Lieben Frauen Bild von der Wiesen und trage es zu den Schwestern im Paradiese, daß man mir dort Messen und feierliche Gesänge singe. Und darnach trage das Bild wieder nach Soest in unserer Lieben Frauen Münster von der Wiesen und stelle es dort an seine gewöhnliche Stelle.« Bald nachher ist dem alten Bürgermeister dieselbe Stimme zum zweiten Male vorgekommen, worüber er sich sehr erschreckt hat. Er hat also seinen Beichtvater um Rath gefragt, wie er sich mit diesen Dingen verhalten sollte. Der sagte ihm, er solle, ehe er zu Bett ginge, sich dreimal mit Weihwasser segnen; wäre es dann etwas Gutes, so würde es sich wohl weiter melden. Als er dies genau befolgt und sich darauf schlafen gelegt hatte, kam es zum dritten Male und weckte ihn hastig aus dem Schlafe. Als er die Augen aufschlug, fand er’s vor sich so hell wie Sonnenschein und sah das Bild unserer Lieben Frauen deutlich vor sich stehen. Es redete ihn folgendermaßen an: »Habe ich Dir nicht gesagt, Du solltest mein Bild aus dem Münster von der Wiesen nehmen und es zu den frommen Schwestern im Paradiese tragen, damit mir dort eine Messe gesungen würde, und dann solltest Du das Bild wieder nach Soest zurücktragen in die Kirche von der Wiesen auf die alte Stelle?« Er antwortete: »Ich armer gebrechlicher Mensch, wie soll ich das heilige Bild tragen? wie in finsterer Nacht den Weg finden?« – »Du sollst«, erwiederte die Stimme, »das Bild nehmen und aus Sanct Walpurgis-Pforten mit ihm gehen; da wirst Du einen weißen Hund finden, der Dir den Weg zeigen soll!« Als er nun mit dem Bilde vor das Thor an die Steinbrüche kam, fand er dort einen ihm ganz unbekannten, mit Dornen dicht verwachsenen Weg. Wohl grauete es ihm, die wilde Straße zu wandern, doch nahm er sich ein Herz und folgte dem weißen Hunde ganz den Weg zu Ende, ohne daß ihm irgend ein Leid geschehen wäre. Als er vor das Paradies kam, verließ ihn der Hund, worüber er sehr traurig ward, denn er wußte nicht, wer ihn nun auf dem Heimwege vor Unfall schützen würde. Als nun die Messen und die Loblieder gesungen und beendigt waren, fand der Bürgermeister den Hund wieder vor dem Paradiese, an der Stelle, wo jetzt das Heiligenhäuschen steht. Das Thier leitete ihn sofort wieder an Sanct Walpurgis-Pforten, wo er es gefunden hatte. Dort sprach die Stimme: »Eine solche Prozession soll alle Jahre einmal geschehen, den nächsten Sonntag nach unserer Lieben Frauen Geburt.« Als jedoch der Bürgermeister bald nachher starb, hatte man der Sache wenig Acht, so daß die Prozession nach und nach ganz unterblieb. Da erhob sich aber in Soest eine große Pest, bis man wieder anfing, die Prozession auf würdige Art zu begehen. Darauf hielt die Seuche sogleich inne. So ist es auch geblieben, bis endlich das Bild, als die Lutherischen nach Soest kamen, nach Werl gebracht ward, wo es noch heute zu sehen ist.
Der große Gott
Vor alter Zeit wurde in Soest ein wunderthätiges Bild »der große Gott von Soest« gezeigt, welches ein Pathengeschenk Karls des Großen an Wittekind gewesen sein soll. Es war dies ein ungeheures Kreuz, mit einem kolossalen Herrgott daran und das war der heute noch sprichwörtlich gewordene große Gott von Soest.
Ritter Themo, der Würfelspieler
Vor vielen hundert Jahren lebte in der Stadt Soest in Westphalen, die damals noch berühmt, volkreich und mächtig war, ein Ritter, Namens Themo, ein harter, ungerechter Mann, der dem Würfelspiel leidenschaftlich ergeben war. Umsonst flehten ihn sein sanftes Weib und seine wohlgeartete Tochter an, er möge doch ein anderer Mensch werden und nicht den Fluch seiner Mitbürger auf sein Haupt und Schande über seine Familie bringen. Er verlachte ihre Bitten und Warnungen, ja er mißhandelte sie sogar. Tag für Tag lag er in allen Schenken und Bierhäusern der Stadt, denn dort hielt er seine Ernte, weil er fast immer gewann, denn er war ein falscher Spieler und die Würfel, die er beständig bei sich führte, waren so künstlich gefertigt, daß sie fast stets zu seinen Gunsten fielen. So trieb er es lange Jahre, zwar ward er von den Weibern und Kindern, Eltern und Geschwistern derjenigen, die er um Alles gebracht hatte, verwünscht bis zum Abgrund der Hölle, allein dies störte ihn Alles nicht, er ward von Tag zu Tag reicher. Nun traf es sich aber, daß ein sehr reicher Patrizierssohn, aus dem Geschlechte der Herren von Kerkhörde, seine Augen auf seine Tochter warf und von ihr erhört wurde. Derselbe begab sich also zu ihm und hielt um dieselbe an. Der alte Themo nahm seinen Antrag auch scheinbar mit großer Befriedigung auf, allein er meinte, es sei doch besser, wenn sich die jungen Leute erst etwas besser kennen lernten und darum möchten sie bis zur Hochzeit[724] noch ein volles Jahr warten. Von da an kam nun der junge Mann täglich in das Haus seiner Braut, ohne zu ahnen, welchen bösen Plan der alte Themo mit ihm vorhatte. Derselbe hatte nämlich beschlossen, die Schönheit seiner Tochter als Lockvogel für reiche Freier zu benutzen und der junge Patrizier sollte das erste Opfer sein. So war ein halbes Jahr verflossen, da kam der Letztere auf einmal, fand aber seine Braut nicht zu Hause und da er sie erwarten wollte, schlug ihm der alte Ritter vor, sich die Zeit mit einem Spielchen zu vertreiben. Zwar haßte der junge Mann das Spielen, wußte auch, daß sein zukünftiger Schwiegervater ein Falschspieler war, allein er wagte doch nicht, ihm eine abschlägige Antwort zu geben, willigte also ein, doch machte er sich aus, daß es nur um ganz niedrigen Einsatz gehen solle. Natürlich ging jener darauf ein, allein er wußte es so einzurichten, daß der junge Mann immer gewann. Nun vergingen einige Wochen, ehe der Alte seinen künftigen Schwiegersohn wieder zum Spiele aufforderte, allein endlich war wieder einmal das Mädchen mit ihrer Mutter außer dem Hause und wieder bot er ihm ein Spielchen an, aber diesmal zu einem höheren Einsatze. Kerkhörde wagte nicht ihm seine Bitte abzuschlagen und sie spielten wieder, jetzt aber gewann er von dem Alten noch mehr als das erste Mal. Dadurch bekam er denn nach und nach Lust zu diesem entsetzlichsten aller Laster. So kam es, daß er jeden Abend, wenn er von seiner Braut Abschied nahm, statt nach Hause zu gehen, in das Gemach seines zukünftigen Schwiegervaters schlich und mit diesem bis zur Morgenröthe beim Spiele saß. Jetzt aber, da dieser seines Opfers gewiß war, ließ er Kerkhörde nicht mehr gewinnen. Mit jedem Tage nahm er ihm größere Summen ab und drei Tage vor dem festgesetzten Hochzeitstage verspielte jener Haus und Hof an ihn, so daß ihm buchstäblich nichts mehr übrig blieb. Am andern Morgen aber ließ er den unglücklichen Jüngling zu sich rufen und erklärte ihm mit dürren Worten, er könne seine einzige Tochter unmöglich einem bettelarmen Manne geben, er möge sich also nach einer andern Braut umsehen. Verzweifelnd stellte ihm derselbe vor, daß ja sein ganzes Vermögen in seinen Beutel geflossen sei, allein der harte Themo ließ sich nicht rühren, sondern wies ihm einfach die Tür. Da stieß der Unglückliche einen schweren Fluch aus und vermaß sich hoch und theuer, morgen werde er nicht mehr unter den Lebenden sein, sein Blut aber solle über seinen Verführer kommen und dieser bei lebendigem Leibe zur Hölle fahren. Darauf eilte er zu seiner Braut, gestand ihr unter heißen Thränen seinen Leichtsinn, küßte sie zum letzten Mal und eilte davon. Wenige Tage nachher aber spülten die Wellen der Lippe unweit Lippstadt seinen Leichnam an’s Ufer. Als dies seine unglückliche Braut erfuhr, da trat sie noch einmal vor ihren Vater, erklärte ihm, daß sie von jetzt an keines irdischen Mannes Braut mehr sein werde, sondern sich einen himmlischen Bräutigam wählen und in’s Kloster gehen wolle; sie flehe ihren Vater aber an, er möge seine Sünden bereuen und von seinem gottlosen Treiben ablassen, vielleicht daß ihm Gott gnädig sein werde. Der Ritter aber ließ sie mit bösen Worten an und verspottete sie bitter ob ihres Entschlusses und erklärte, um das Heil seiner Seele werde er sich selbst kümmern, spielen wolle und müsse er, bis er in die Grube fahre; wer ihm komme, um mit ihm zu spielen, sei ihm recht und wenn’s der böse Feind selbst sei. Kaum hatte Themo diese Worte gesprochen und seine Tochter ihn verlassen, da trat ein langer, hagerer Mann in einem feuerfarbenen Mantel zur Tür herein und antwortete auf Themo’s Frage, was er wolle, kurz: »Mit Dir spielen!« Dann schlug er seinen weiten Mantel auseinander und zeigte ihm ein gewichtiges Säcklein, welches er auf den Tisch ausleerte. Zwar war Themo erst über den schauerlichen Ton des Fremden etwas bestürzt gewesen, als er aber das viele glänzende Gold sah, vergaß er alle Furcht und konnte es nicht erwarten, daß dasselbe in seinen Besitz käme. Er holte also schnell seine Würfel herbei und nahm dem Fremden gegenüber Platz. Bald rollten dieselben hin und her und wie gewöhnlich glücklich für ihren Besitzer. So spielten sie denn bis zum Abend und das Gold des Fremden wanderte fast gänzlich auf die Seite Themo’s. Schon frohlockte dieser laut, da sprach der Fremde mit ernstem Tone: »Warten wir das Ende ab!« Als die Glocke neun schlug, wandte sich auf einmal das Glück, Themo’s falsche Würfel schienen ihre Kraft verloren zu haben und der Fremde fing an zu gewinnen. Darüber gerieth der alte Spieler so in Wuth, daß er den Kopf verlor und immer hitziger und unvorsichtiger spielte, so daß er um die zehnte Stunde nicht blos seinen bisherigen Gewinn, sondern auch noch viel eigenes Geld dazu verloren hatte. Gleichwohl wollte er nicht aufhören, denn er dachte, das Glück werde sich doch wieder zu seinen Gunsten erklären. Er schleppte also einen schweren Geldsack nach dem andern herbei und verdoppelte die Einsätze, allein Alles war umsonst, kein Wurf gelang ihm mehr und als die Glocke der nahen Domkirche die zwölfte Stunde rief, da hatte der letzte Wurf sein Haus und Hof zum Eigenthum des Fremden gemacht. Nun fragte jener mit kaltem Hohne: »Wollt Ihr noch weiter spielen, Ritter Themo?« – »Ich nenne nichts mehr mein, um was soll ich spielen?« war die Antwort. – »Um Euere Seele«, versetzte der Fremde, »ich setze dagegen all mein Geld und Alles, was ich von Euch gewonnen habe.« Da starrte ihn Themo zitternd an, sein Haar sträubte sich und er wußte, daß sein Partner der Satan war. Gleichwohl hoffte er, daß ihm das Glück wieder lächeln könne, er griff also in Verzweiflung nach den Würfeln, schüttelte sie in der Hand und warf und siehe, es fielen drei Sechsen. Nun sah er den Fremden triumphirend an und rief: »Nun wirf mehr, wenn Du kannst!« Dieser verzog das Gesicht spöttisch, nahm die Würfel und warf drei Sieben. Themo sah es und taumelte mit einem gräßlichen Fluche zur Erde, der Schaum trat ihm vor den Mund, seine Augen verdrehten sich und seine Glieder zuckten krampfhaft, der Unbekannte aber, aus dessen Zügen jetzt die ganze Hölle leuchtete, beugte sich über ihn, packte ihn mit gewaltiger Kraft, schlug die langen Nägel in Themo’s Fleisch und dann fuhr er mit ihm, den er wie ein Wickelkind in den langen Armen hielt, durch die Decke des Saales oben zum Dache hinaus und durch alle Lüfte davon. Die Ziegel des zerschmetterten Daches fand man am andern Tage mit Hirn und Blut bespritzt, Themo’s Leichnam aber ward nirgends gefunden. Themo’s Weib starb bald nachher vor Gram und nicht lange nachher folgte ihr ihre Tochter, die, wie sie gelobt, ins Kloster gegangen war. Die guten Soester aber, denen es klar war, daß der Fremde Niemand anders als der böse Feind gewesen sein könne, nahmen sich das Ende des alten Spielers sehr zu Herzen und noch lange Zeit nachher fand man keine Spieler mehr in der Stadt.
Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates