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Die Erbauung der Stadt Münster
Um das Jahr 568 war der Longobardenkönig Alboin mit einer gewaltigen Heeresmacht in Italien eingefallen um sich hier ein eigenes Königreich zu gründen; an ihn hatten sich etwa 20,000 Sachsen angeschlossen, welche ihr Glück in der Fremde versuchen wollten. Allein es gefiel ihnen nicht lange in dem Lande Italien; Alboin wollte ihnen neue Gesetze aufdringen und so sehnten sie sich in ihre heimischen Länder zurück. Sie führten diesen Wunsch auch aus und zogen durch Gallien in ihr Vaterland zurück. Allein während ihrer Abwesenheit hatten die Schwaben ihre Wohnsitze eingenommen und wollten natürlich dieselben nicht wieder hergeben. Indeß boten sie, um Blutvergießen zu vermeiden, den Sachsen an, das Land mit ihnen theilen zu wollen; allein davon wollten diese nichts wissen, sondern verlangten ihre unbedingte Entfernung, und da die Schwaben dies natürlich nicht eingingen, so kam es zum Kampfe. Indeß die Schlacht fiel für die Sachsen unglücklich aus; es fielen ihrer 14,000, und die übrig gebliebenen 6000, die geschworen hatten, ihr Haupt- und Barthaar nicht eher wieder zu ordnen, als bis sie Rache genommen hätten, richteten auch in einer zweiten Schlacht nichts mehr aus, sie wurden abermals geschlagen. Nun zogen sie fort über die Weser nach Westen hin und kamen in eine große Ebene an den Fluß Aa, wo sie sich lagerten und zu bleiben beschlossen. Mit Schmerzen erinnerten sie sich hier an das schöne Land, dessen Wohnsitze sie einst verschmäht hatten, und bauten zum Andenken an das herrliche Mailand, in dessen Nähe sie früher gewohnt hatten, eine Stadt, welche sie gleichfalls Mailand nannten und welche nach allerlei Umgestaltungen des Namens gegenwärtig Münster heißt.
Das Hufeisen auf dem Ueberwassers-Kirchhof zu Münster
Als die Liebfrauenkirche in Münster gebaut wurde, sah der Teufel mit großem Verdruß diesem herrlichen Bau zu und sann auf allerlei Mittel, dieses gottgefällige Werk zu hintertreiben. Endlich beschloß er, durch List die Sinne des Baumeisters zu bethören, schmückte sich, flocht seine Haare in Zöpfe und kam mit schönen Frauenkleidern angetan und mit seidenen Handschuhen und köstlichen Edelsteinen ausgeziert auf den Bauplatz. Allein der Baumeister ließ sich nicht irre machen; auf seinen Maßstab gestützt hörte er unbewegt die Reden der schönen Frau und wies selbst Gold und Edelsteine, welche sie ihm bot, mit Verachtung zurück. Da ergrimmte der Teufel, stampfte zornig mit dem Fuße auf den Boden und verschwand mit Hinterlassung eines argen Gestankes. Sein Pferdefuß aber hat sich in den Stein, auf welchen er trat, abgedrückt, so daß die Spur des Hufeisens noch heutigen Tages auf dem Ueberwassers-Kirchhofe zu sehen ist.
Affe, Schaf und Schwein am Dom
Diese drei Thiere sieht man auf der Nordseite dieser Kirche an einer Zinne abgebildet. Der Affe sitzt auf einer dünnen Säule und knackt Nüsse und scheint deren Schalen unter mancherlei Possen herabzuwerfen und die Zuschauer zu belustigen. Am Fuße der Säule steht auf der einen Seite ein Schaf, auf der andern eine Sau, die begierig aus einem Troge frißt. Von der Entstehung dieser Bildnerei erzählt aber die Volkssage, daß der Erbauer des Domes mit den Domherren uneinig geworden sei und um diese zu ärgern das Bild angebracht und durch folgende Verse gedeutet habe:
Schafskleider tragen wir,
Ein Schweineleben führen wir,
Affenspiele treiben wir.
Christi Himmelfahrt im Dom
Am Christi-Himmelfahrtstage zieht man im Dome zu Münster ein großes hölzernes Kreuz mit einer Kette auf den Apostelgang. An diesem Tage kommen alle Bauern aus der ganzen Umgegend dorthin, um zu zählen, wie oft das Kreuz bei dem Aufziehen kracht, denn genau so viel Thaler kostet der Malter Korn das Jahr hindurch.
Der Schneider und der wilde Jäger
Einstmals saß zu Münster ein Schneider am Fenster, da fuhr der wilde Jäger mit seinen Hunden über das Haus her und es war ein Lärmen und Bellen, als wenn die ganze Welt untergehen sollte. Man sagt sonst den Schneidern nach, sie wären furchtsam, allein dieser war es nicht, denn er spottete des wilden Jägers und schrie: »Huhu, huhu, kliffklaff, kliffklaff!« und hetzte die Hunde noch mehr an. Da kam aber ein Pferdefuß zum Fenster hineingefahren und schlug den Schneider vom Tische herab, daß er wie tot niederfiel; als er aber wieder zur Besinnung kam, hörte er eine fürchterliche Stimme:
Wust Du met mi jagen,
Dann sast Du auk met mi gnagen!
Amtmann Timphot
Vor alten Zeiten, als die Nonnen noch in dem Tilschen Kloster wohnten, da logirte auf der Süntilger Straße ein fürstlicher Amtmann, ein sehr stolzer hoffärtiger Mann, der immer nur in einer großen, mit schönen Pferden bespannten Kutsche herumfuhr. Er hatte dabei einen grünseidenen Rock an, trug eine weiße Perücke und einen großen grauen Pumphut, weshalb ihn die Leute Amtmann Timphot oder Pumphut nannten. Am Tage der heiligen Scholastika, der auf den 10ten Februar fällt, fiel nun immer ein großes Fest in dem Kloster und die Lauter läuteten den Tag vorher und das ganze Fest über, daß jeder Christenmensch daran seine Freude hatte. Dem Amtmann aber paßte das gar nicht und er ließ den Nonnen mehr als einmal sagen, sie sollten das unnütze Läuten unterlassen, es störe ihn. Die Nonnen kehrten sich natürlich nicht daran, sondern ließen immer lustig darauf los läuten. Nun kam auch einmal wieder der Scholastika-Tag, da fuhr der Amtmann in seiner prächtigen Kutsche, den grünseidenen Rock an, die weiße Perücke und den Pumphut auf, über die Süntilger Straße gerade an der Kirche vorüber, als die Glocken eben recht im Gange waren. Da sah er sich nach dem Turme um und rief: »Scholastika, Scholastika, ich wollte, daß Dich der Teufel holte!« Er hatte aber kaum diese gottlosen Worte gesprochen, da kamen gleich zwei Teufel durch die Lüfte und Wagen und Pferde und Amtmann versanken tief in die Erde. Da hat er nun immer in der Erde herumgewühlt und so viel Lärmen und Spektakel gemacht, daß man es auf den darüber liegenden und benachbarten Straßen gehört hat. Endlich hat er es so weit gebracht, daß die Kirche und der Turm durch sein furchtbares Wühlen eingestürzt sind. Seitdem ist er nun aber aus der Erde befreit und spukt jetzt auf den Straßen herum. Er geht über die Süntilger Straße, durch die Lütke Stiege die Königsstraße herunter, auf den Roumborg darf er aber nicht wieder kommen, bis an Hellwegs Bögesken, wenigstens dreht er, wenn er so weit gekommen ist, allemal wieder um. Er setzt aber die Füße niemals auf die Erde, wie ein anderer Mensch, sondern er geht immer ohngefähr eine Elle hoch über der Erde in der Luft herum. Die Leute aber versichern, das komme daher, daß die Teufel nicht wollen, daß er jetzt die Erde betritt, weil er bei seinen Lebzeiten niemals aus Hochmuth zu Fuß gehen, sondern immer in der Kutsche fahren wollte.
Die Landmesser in der Galghaide
In der Galghaide bei Münster hat man bei Nachtzeit mehrmals feurige Streifen über der Erde gesehen. Man erzählt sich, daß in dieser Haide die Landmesser, die vor Zeiten die Marken falsch gemessen haben, umhergehen und mit glühenden Ketten den Boden ausmessen müssen.
Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates