Sagen rund um Köln

Inhaltsverzeichnis

Das Gottesgericht auf dem Domhof

Ein gewisser Gumbrecht aus dem edeln Cöllnischen Geschlechte der »von Weißen«, die man gewöhnlich blos »von der Mühlengasse« oder auch von ihrer stattlichen festungsartigen Besitzung am Mühlengassentor »vom Turm« nannte, hatte am Ostertage 1260 einen Bürger aus der Metzgerzunft von Cölln in der Klosterkirche »zur weißen Frauen« auf der Bachstraße daselbst erschlagen, hatte sich aber dann durch die Flucht aus der Stadt gerettet. Zwar hatte der Stadtgraf Hermann von der Kornpforte in Folge davon der Familie von Weißen ihre Häuser zur Strafe niederreißen lassen, allein gleichwohl hatte doch sonst noch ein Verwandter des Getöteten durch ein Schimpfwort, welches Gumbrecht gegen ihn ausgestoßen hatte, beleidigt diesen einen Mörder genannt und ihm den Handschuh hingeworfen mit der Betheuerung, er wolle diese seine Behauptung durch einen Zweikampf beweisen. Der Handschuh ward aufgehoben und das Gericht nahm jetzt beide Männer in Verwahrung bis nach Verlauf von 14 Tagen auf dem Domhofe in Gegenwart des Stadtgrafen, des Cöllner Rathscollegiums und der Schöffen sowie bei Anwesenheit des Bischoffs und der hohen Kirchenwürdenträger und einer ungeheuren Volksmenge beide Kämpfer am 22. Mai um 9 Uhr früh zusammentrafen. Ihre Kleidung bestand aus schwarzem Schafleder, ganz aus einem Stücke vom Hals bis zu den Füßen gefertigt und knapp an ihre Körper anschließend; dieselbe war mit Fett bestrichen, damit der Sieg nicht allzuleicht werde, jedoch so daß dasselbe an dem Fleischer Hermann schmolz, an Gumbrecht von Weißen aber gerann und ganz weiß und grieslich blieb, obwohl es sehr heiß war. Die Köpfe waren ihnen geschoren, die Füße unbekleidet, die Nägel aber verschnitten. Ihre Schilde waren von Weidenholz mit Schafleder überzogen, ungefähr 3 Fuß lang, die Waffen waren Stöcke von Mispelbaumholz, 3 Fuß lang, an beiden Enden zugespitzt und mit einem Griff und Riegel zur Bedeckung der Faust versehen. Nachdem der Stadtvogt ihnen das Zeichen zum Kampfe gegeben, schlugen beide Kämpfer anfänglich auf einander tüchtig los, allein nach mehreren Gängen, bei denen nichts herauskam, warfen sie ihre hölzernen Waffen weg und fielen über einander her. Hermann der Fleischer jedoch war der stärkere, riß Gumbrecht zu Boden, blendete ihm mit Sand die Augen, riß ihm die Ohren ab und hielt ihn dann fast eine Stunde lang fest am Boden, so daß er den Bauch und das Gesicht seines Feindes nach der Erde umkehrte; zwar versuchte Gumbrecht immer wieder sich aufzuraffen, biß auch seinen Gegner heftig in den Finger, allein dieser drückte ihm dann mit dem Daumen das eine Auge aus und ob derselbe wohl um sein Leben bat, verrenkte und zerbrach Letzterer ihm die Arme und das Rückgrat, indem er mehrere Mal mit den Knieen ihm auf den Rücken stampfte. Endlich bekannte der Unglückliche sich für besiegt und gestand den Mord, dessen er beschuldigt war, ein, allein obwohl der Stadtgraf selbst jetzt um sein Leben bat, gestand ihm der Magistrat solches doch nicht zu, sondern der Fleischer tötete ihn vollends mit einigen Schlägen seines hölzernen Prügels, schleppte ihn dann aus den Schranken, worauf er noch einmal zu sich kam, einem Priester aus der nahen bischöflichen Johanniskirche beichtete und dann auf einer Schleife fortgeschleppt und auf dem Judenbüchel vor dem Severinstor aufgehangen ward. Der Fleischer aber begab sich zu der nahen Kirche unserer lieben Frauen zur Stiege, um die heilige Jungfrau die Mutter Gottes zu begrüßen und ihr für den Sieg zu danken.

Die verbrannten Ketzer

Zur Zeit des Erzbischoffs Reinald von Dassel (1159-67) ergriff man zu Cölln mehrere Ketzer, welche vor das geistliche Gericht gestellt, verhört und des Abfalls vom Christenglauben überführt, dem weltlichen Gerichte übergeben und von diesem zum Feuertode auf dem Domhofe verurteilt wurden. Als nun der Tag der Hinrichtung gekommen war, den alle Verurteilten mit beispielloser Standhaftigkeit hatten herankommen sehen, wurden sie beim Austritt aus dem Gefängniß zusammengebunden und unter Begleitung geharnischter Männer über die Severinsstraße auf den sogenannten  Judenkirchhof geführt, um dort den Feuertod zu leiden. Dort verlangte einer derselben, mit Namen Arnaldus, den die Uebrigen als ihr Haupt verehrten, ein Stück Brod und einen Becher mit Wasser zum Trinken. Allein dies ward ihm verweigert, damit er nicht etwa irgend ein teuflisches Werk damit ausführen könne, sondern Alle auf einen Scheiterhaufen gestellt. Mitten in der Gluth aber erhob sich Arnaldus und legte seine Hände auf die bereits halbverbrannten Häupter seiner Schüler und sprach laut die vernehmbaren Worte: »Bleibt standhaft in Euerem Glauben, noch heute werdet ihr bei Laurentius sein.« Unter diesen Unglücklichen befand sich aber eine Jungfrau von äußerst schöner Gestalt und mit den wunderbarsten Reizen begabt. Dieselbe sollte zwar ebenfalls ihres Abfalls vom römisch-katholischen Glauben wegen an jenem Tage den Feuertod erleiden, allein von ihrer Schönheit gerührt bot man ihr das Leben an, wenn sie in ein Kloster treten oder sich augenblicklich mit einem guten Christen verheirathen wolle. Das Mädchen aber hielt die Leiber der schon erstickten oder halbverbrannten Leidensgefährten fest umschlungen und die Zuschauer legten dieses ihr Zaudern als den Anfang zur Umkehr und Reue aus. Da fragte sie plötzlich die Henkersknechte: »Wo liegt Arnaldus mein Lehrer, den Ihr meinen Verführer zu nennen beliebt?« Und als dieselben ihr den schon halbverkohlten und nicht mehr kenntlichen Körper desselben gezeigt hatten, da entschlüpfte sie plötzlich ihren Händen, ohne daß sie es hindern konnten, verhüllte ihr Angesicht mit ihren Kleidern, stürzte sich in die Flammen und indem sie die Ueberreste ihres Lehrers und Meisters umschlang, teilte sie freiwillig das Loos ihrer Schicksalsgenossen.

Der Dombaumeister

Zwar war schon am 14. August 1248, dem Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt, der Grundstein zu dem neuen Dom von Erzbischof Conrad von Hochstaden und König Wilhelm von Holland gelegt worden, allein die innern Streitigkeiten zwischen den Erzbischöfen Engelbert von Falkenburg und Siegfrid von Westerburg hinderten den Fortbau desselben und erst nachdem der neue Erzbischof Wichbold von Holte (seit 1297) den päpstlichen Bannstrahl von der Stadt gelöst, dachte man wieder daran das große Werk zu vollenden. Da erschien auf einmal ein bisher ziemlich unbekannt gebliebener Baumeister Gerhard genannt vor dem Erzbischof und überreichte ihm den von ihm ausgearbeiteten Plan des Chores. Dasselbe stellte ein Zelt vor, von unzähligen Sternbildern belebt, von reichen zierlich durchbrochenen Strebebogen und Steinlauben, in mannigfaltigster Form und Verzierung umgeben, mit Hunderten von luftigen Spitzsäulchen leicht zum Himmel strebend und schön sich einigend mit den nach Norden und Süden auslaufenden, ebenso zierlichen Kreuzflügeln und dem nicht minder reich geschmückten Langhause, das auf zwei gewaltigen, 500 Fuß hohen Türmen ruhte, zwischen welchen die drei Haupteingänge der Kirche lagen und welche, trotz der gewaltigen Masse, mit den reichen Laubbogen, den leichten zierlichen Gliederungen und Lauben bis zu dem mit künstlichen Rosen durchbrochenen Pfeil schlank und in voller Majestät zum Himmel aufstiegen.

Der Erzbischof aber den Geist des Mannes höchlich bewundernd, der einen so kühnen Plan ersonnen, fragte ihn ob er sich getraue, denselben auch auszuführen, und als derselbe schnell entschlossen geantwortet, daß er, was er bisher nur in der Phantasie fertig gesehen, sich auch mit Gottes Hilfe auszuführen getraue, da stellte ihm jener reichlich alle Mittel dazu zu Gebote und der Meister ging eifrig ans Werk und schaffte so tüchtig und unverdrossen mit seinen Gesellen und Steinmetzen, daß nach 22jähriger Arbeit das Chor in unerreichter Pracht vollendet war und am 27. September 1322 von dem Erzbischof Heinrich von Virneburg eingeweiht werden konnte. Allein ob nun wohl der Name Meister Gerhard’s ob dieses herrlichen Werkes in allen Landen gerühmt und gepriesen ward, so schien sich derselbe doch desselben selbst nur wenig zu freuen. Es überkam ihn der Gedanke, daß obwohl er sich noch rüstig und kräftig fühle, ihn doch der Tod in seinem Werke überraschen könne und er so die Ehre der Vollendung einem Anderen überlassen müsse. Diesen Gedanken aber konnte sein Stolz nicht ertragen und so kam es, daß während er früher mit mildem Ernste die Säumigen und Fehlenden zurecht wies, jetzt Strenge und Härte an die Stelle desselben traten, Niemand ihm mehr etwas recht machen konnte und er überhaupt, selbst im Kreise seiner Familie wie umgewandelt und ausgetauscht erschien. Dieses Gefühl des Trübsinns ward jedoch noch mehr durch einen nach Cölln gekommenen fremden Magister angefacht, der ihm täglich vorredete, Niemand sei befähigt, das zu vollenden, was er so herrlich begonnen. Da faßte er den Entschluß, den Bau ganz aufzugeben und alle seine Pläne und Risse zu zerstören, damit auch kein Anderer, wenn es ihm nicht vergönnt sei den hohen Bau zu vollenden, nach ihm es vollführen könne.

So saß er eines Abends im Spätherbst vor seinem Kamine, alle seine Zeichnungen vor sich, fest entschlossen ein Ende zu machen und Alles dem Feuer zu opfern, und hatte schon den Arm erhoben um die großen Pergamentrollen in die Flammen zu schleudern, als sein Auge zufällig durch das hohe Bogenfenster auf den vom Mondenlichte beglänzten Dombau fiel, und da kam auf einmal ein tiefes Gefühl der Reue über seine Kleinmüthigkeit über ihn, eine gewisse, vorher lange nicht gefühlte Wemuth und zugleich Herzensruhe zog in ihm ein, daß er zerknirscht beschloß, nie wieder einem so gottlosen Gedanken Raum in seiner Brust zu geben, sondern fest gelobte, sich mit ganzer Kraft zu Gottes Ehre dem Baue wieder hinzugeben und ihn soweit zu fördern, als es des Ewigen Wille sei. Und mit der Ruhe der Seele erlangte der Meister auch seine Thatkraft wieder, er vermied den fremden Magister, dessen Einflüsterungen er leider ein nur zu geneigtes Ohr geschenkt hatte, und als hätte es gegolten, den Dom in einem Jahre fertig zu machen, wurde an dem Werke so eifrig fortgearbeitet, daß nach Verlauf zweier Jahre der nördliche Turm sich beinahe zu seiner jetzigen Höhe erhob und als Wahrzeichen des ewigen Baues schon den gewaltigen Krahnen in die Lüfte streckte.

So stand denn eines Abends mit dem Stolze des Bewußtseins, was er vollbracht, Meister Gerhard auf dem Turme und überschaute selbstgefällig den Riesenbau, als ein kostbar gekleideter Fremdling zu ihm trat und sich als Meister der freien Kunst zu erkennen gab. Er pries mit feuriger Rede den majestätischen Bau, fügte aber bedauernd hinzu, es müsse doch für den Schöpfer desselben ein betrübender Gedanke sein, wenn er sich sagen müsse, daß er sein herrliches Werk nie vollenden, sondern ein Anderer die schöne Frucht seiner mühevollen Saat ernten solle. Auf die Frage des betroffenen Meisters »wer ihn denn daran hindern solle«, versetzte jener: »Das Leben, welches kein sterblicher Mensch über das ihm vom Schicksal gesteckte Ziel zu verlängern im Stande ist!« Da rief der Meister gekränkt und unüberlegt aus: »Ich vollende, was ich begonnen und gehe jede Wette darauf hin ein, und wäre es auch mit dem bösen Feinde selbst!« Der Fremde aber faßte ihn mit eiserner Hand bei der Rechten und sprach: »Topp, ich gehe die Wette ein und sage, ich führe von Trier bis hierher nach Cölln eher ein unterirdisch Bächlein, so daß Enten darauf schwimmen können, ehe Ihr den Bau des Domes vollendet. Verliert Ihr die Wette, so ist Euere Seele mein, gewinnt Ihr sie, so schenke ich Euch zehn verdammte Seelen.« Da dachte der Meister eine gute That zu tun, denn er war seines Werkes sicher und schlug ein, der Fremde aber verschwand in einer Sturmwolke, die über den Dom dahinbrauste.

Von dieser Stunde an aber verfiel der Meister wieder in seinen alten Trübsinn, er konnte sich nicht von dem Gedanken los machen, daß er nun doch seinen Bau nicht vollenden werde, und wie er auch trieb und schaffte, er kam doch nicht so schnell vorwärts, wie er gehofft. Natürlich trug er aber auch seinen innern Kummer mit in seine Familie über, allein allen Fragen seiner besorgten Hausfrau, was ihm fehle und worüber er sich sorge, wich er ängstlich aus, sodaß diese vor Neugierde fast umkam. Da auf einmal kam, freilich in Abwesenheit Meister Gerhards, wieder der fremde Magister ins Haus, fragte seine Gattin nach ihm, wie es ihm gehe, und als er vernommen, daß er sich zwar in soweit ganz wohl befinde, daß aber ein geheimer Kummer an seinem Herzen zu nagen scheine, den sie freilich nicht heilen könne, da er ihn eben verschwiegen halte. Der Fremde aber meinte, es gebe schon ein Mittel, das Geheimniß auch wider seinen Willen ihm abzulocken, und auf ihr Befragen versicherte er ihr, er wolle ihr einen übrigens ganz unschädlichen Trank bringen, den solle sie ihrem Manne unter sein Abendgetränk mischen und sie werde sehen, daß er im Traume ihr alle seine Geheimnisse verrathen werde. Wie gedacht so geschehen, die unglückliche Frau mischte ihrem Manne das höllische Gebräu und richtig versank er sofort in tiefen Schlaf und erzählte ihr wie im Traume redend den Hergang der Sache, seine Begegnung mit dem Bösen und die Wette, fügte aber hinzu: »er wird die Wette doch nicht gewinnen, denn er wird nie einen Tropfen Wasser in dem Bächlein fließen machen, läßt er nicht von Viertel- zu Viertelstunde ein Luftloch in dem Kanale, und daran wird er nicht denken.«

Am andern Morgen aber, als der Meister kaum hinaus auf den Bau gegangen war, kam auch der fremde Magister wieder und erkundigte sich neugierig, ob denn sein Mittel gewirkt habe. Die schwatzhafte Frau aber bejahete nicht blos diese Frage, sondern erzählte ihm auch haarklein, was er ihr im Traume geoffenbart hatte. Als jener aber vernommen, was er wissen wollte, verschwand er plötzlich mit höhnischem Lachen. Meister Gerhard aber stand inzwischen hoch oben auf des Turmes Platte und trieb die Arbeiter zu immer eifrigerer Tätigkeit an, denn er sah ein schweres Gewitter aus Abend her über die Stadt heranziehen. Noch regte sich kein Lüftchen, es herrschte eine dumpfe Schwüle in den Lüften, da auf einmal glaubte der Meister ein sonderbares Geräusch zu vernehmen, und wahrlich ein lustiges Bächlein rann heran und zwei Enten schwammen auf demselben und ihr munteres Geschnatter scholl herauf in die Luft. Da erfaßte wilde Verzweiflung den Meister, er stürzte sich hinab von der Zinne des Doms, in demselben Augenblick aber entlud sich das Wetter mit furchtbarer Gewalt, mit wildem Grimm rollte der Donner durch die von allen Seiten durch Blitze zerrissene und wie in einem Feuermeer stehende Luft. Von den Türmen aber erscholl die Feuerglocke, des Meisters Haus stand in Flammen und mit dem Gebäude gingen auch die meisten Pläne desselben in Feuer auf, und wie sich auch viele seiner Collegen bestrebten, das, was er sich im Geiste aufgebaut, zu errathen und in seinem Geiste herzustellen, es blieb Alles bis auf die neueste Zeit nur frommer Wunsch.

Meister Gerhard aber hält noch in nächtlicher Stunde seinen Gang um den Bau, sich an seinem Werke weidend, das noch Keiner nach ihm zu vollenden vermocht hat. Indeß der böse Feind war schon darüber ergrimmt, daß der Bau wenigstens so weit vollendet war, denn im Jahre 1438 schleuderte er eine der mächtigsten Spitzsäulen durch das Gewölbe der Chorrundung, um die Kapelle der heiligen drei Könige zu zerschmettern, und lange noch zeigte man den Steinblock, in welchen des Bösen Krallen eingedrückt waren. Als Wahrzeichen aber und zur Erinnerung an Meister Gerhards Ende ist er, vom Turm herabstürzend, an der Südseite des Doms in Stein gehauen zu sehen, wie der Böse ihm nachfährt in Gestalt eines zottigen Pudelhundes.

Der geheimnißvolle Bann scheint aber endlich gehoben zu sein, denn bekanntlich gedeiht der Wiederherstellungsbau des herrlichen Werkes zur Freude aller Frommen und Kunstfreunde und wenn er dereinst vollendet sein wird, da wird wohl auch der spukende Meister die langersehnte Ruhe finden

Der heilige Hildebold

Kaiser Karl der Große befand sich im Jahre 782 zufällig gerade zu der Zeit in der Nähe Cöllns, als das Domkapitel und der Clerus daselbst sich durchaus nicht über die Wahl eines neuen Erzbischofs, nach dem Tode des Cratepolius, des 21. in der Reihe der dasigen Bischöfe, einigen konnten. Er beschloß also selbst nach der Stadt zu reiten um dem Streit ein Ende zu machen. Es war eines Morgens in der Frühe, als er nahe bei der Stadt an einer Kapelle, der alten jetzt weggerissenen Kapelle zum h. Marcellus in der heutigen Marzellenstraße vorbeiritt, wohin das Glöckchen eben zur Messe einlud. Er stieg, um derselben beizuwohnen, behende vom Pferde und trat in das kleine Gotteshaus. Niemand vermuthete aber in dem einfachen Jäger, der ohne alles Gefolge war, den mächtigen deutschen Kaiser. Er knieete nieder, verrichtete sein Gebet und legte dann einen Goldgulden als Opfer auf dem Altare nieder. Befremdet sah aber Hildebold – denn er war es, welcher die Messe las – auf den stattlichen Fremden hin und sagte sanft verweisend, indem er ihm den Goldgulden zurückgab: »Freund, nehmt Euere Münze wieder, ich bedarf derselben nicht!« Da entgegnete der Kaiser zutraulich und freundlich: »Behaltet das Geld nur immerhin, denn ich gab es Euch sonder Spott und Argwohn.« Hildebold aber verweigerte beharrlich die Annahme des Goldes und sprach endlich: »Habt Dank, Herr, für Euere kostbare Münze, für mich hat sie keinen Werth, wollt Ihr aber ein Uebriges tun und Euern frommen Sinn befriedigen, nun wohlan, da Ihr, wie ich sehe ein Waidmann seid, so hört denn, was ich mir von Euch erbitte: die Haut von dem ersten Reh oder von irgend einem Wilde, so Ihr erlegt, verhandelt oder schenkt mir, damit ich mir Ueberzüge für meine Bücher zum Dienste dieser Kirche daraus machen lassen kann.« Mit Verwunderung vernahm der Kaiser die einfachen Worte des genügsamen Priesters, erkundigte sich sofort nach seinem Lebenswandel und als er zu seiner großen Freude erfuhr, daß er ein überaus frommer und gottesfürchtiger Mann sei, bestimmte er ihn zum Erzbischof von Cölln, als welcher er nach des Kaisers Tode die alte oder erste Domkirche auf dem Domhofe erbaute. Dieselbe ward freilich erst 873 unter Erzbischof Willibert vollendet und litt bereits sehr unter der Normannenverheerung in den Jahren 882 und 890, bis sie endlich im Jahre 1247 durch einen großen Brand vollständig vernichtet ward, worauf denn Conrad von Hochstaden im nächsten Jahre den Grundstein zu dem neuen, jetzigen Dome legte.

 Die Sage von der heiligen Ursula und den 11000 Jungfrauen.

In christlicher Zeit, als bereits die Enden der Erde sich zu Gott bekehrt hatten, lebte in Britannien ein König mit Namen Deonotus, der getreu alle Bräuche des katholischen Glaubens erfüllte, und also seine Unterthanen regierte, daß er allezeit gedachte, wie er selber wieder Gott unterthänig sein müßte. Er hatte eine Gemahlin, die an Adel und Glanz der Tugenden ihm gleich kam, Beide warteten mit Sehnsucht eines Sohnes, Gott aber schenkte ihnen eine Tochter. Weil sie nun einst wie David den Bären (ursus zu Latein genannt) erschlagen sollte, das ist den Teufel, fügte es Gott, daß sie in der Taufe Ursula genannt ward. In königlichen Ehren erzogen däuchte ihr die Welt doch geringe, vielmehr sann sie dem Gesetze des Herrn nach Tag und Nacht. Außer diesen Gaben des Herzens war sie noch von wunderbarer Schönheit, also daß der Ruf davon in die Weite ging. So vernahm von ihrer Schönheit und ihren Tugenden ein wilder Heidenfürst, der dachte alsbald, wie er sie seinem Sohne vermählen wolle. Er sandte Boten an den Vater der Jungfrau mit reichen Geschenken und noch reicheren Versprechungen, aber auch Drohungen, falls er die Bitte nicht erfüllte. Da sie nun ihr Anliegen dem König Deonotus vorgetragen hatten, schien es diesem unwürdig seine Tochter, die dem himmlischen Bräutigame verlobt war, aus dessen Armen loszureißen und heidnischer Lust unterwürfig zu machen. Auf der andern Seite aber (weil er nicht mächtig genug war, den Heiden zu trotzen) sah er schon im Voraus vor Augen seine Leute gemetzelt, sein Land verwüstet, die Tempel entweiht und die Gläubigen in den Händen der Ungläubigen. Ursulen aber ging das Leid des frommen Königs, ihres Vaters, sehr zu Herzen und wie einst die heilige Judith und Esther, lag auch sie für die Befreiung ihres Vaterlandes in Fasten und Beten die Nächte, daß sie die Worte ihres Bräutigams vernehme, mit dem sie schon eine Seele war. Wie sie nun einst vor Ermattung in Schlummer gesunken war, erleuchtete sie Gott durch ein Gesicht und zeigte ihr den weiteren Gang ihres Lebens, die Zahl ihrer Genossen und die Palme des Märtyrertodes, was alles durch den endlichen Ausgang bewährt ward. Da aber der Morgen dämmerte, kam sie zu ihrem trauernden Vater mit heiterem Angesichte und sprach: »Wirf Dein Anliegen auf den Herrn, der wird Dich versorgen und wird wohl den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen. Achte meine Worte für weiser als meine Jahre. Denn der Herr hat mir durch ein Gesicht kund getan, daß Du und der Jüngling, der meiner begehrt, zehn Jungfrauen durch Adel und Schönheit ausgezeichnet, erleset und einer jeglichen und mir je Tausend, 11 Schiffe rüstet und 3 Jahre Zeit gönnet, nach deren Verlauf geschehe, was des Herrn Wille ist.« Da ward der König erfreut, ließ die Boten kommen und verkündete ihnen, was die Jungfrau forderte und setzte die Frist fest, damit der Königssohn Zeit hätte, durch das Bad der Taufe und Unterrichts des katholischen Glaubens theilhaftig zu werden. Da gingen die Boten fröhlich heim zu ihrem Herrn. Und da der König und sein Sohn ihre gute Botschaft erfuhren, war großer Jubel bei Hofe und im ganzen Lande. Und der Sohn drang in den Vater, daß er ihn alsbald taufen ließe. Und die Jungfrauen wurden auserlesen, zu Hofe geführt und herrlich geschmückt, und die Schiffe bereitet und geziert, und es regten sich alle Hände um die Wette. Bald waren die Fahrzeuge fertig und die Jungfrauen versammelt und man zog, Pinnosa, die edelste der edeln, an der Spitze zur Königin. Da trat die h. Ursula unter das Heer, dankte und lobte Gott und ermahnte die Kampfgenossen zur göttlichen Liebe und Gehorsam. Sie aber lauschten der Rede, erhoben ihre Herzen zu Gott und gelobten, ihren Fahneneid schwörend, Christo und seiner heiligen Lehre Treue. Das Meer war nahe; auf ein Zeichen fliegen sie zu den Schiffen, gehen in die See und beginnen ihre Uebung, bald zusammen, bald wie Krieg, bald wie Flucht. So thaten sie alle Tage, und der fromme König und die Großen des Reichs standen dabei, und das neugierige Volk jubelte zu den jungfräulichen Spielen. So waren drei Jahre mit diesem Vorspiele des Martyriums verbracht und der gelobte Tag der Hochzeit erschien. Da ward Ursulen bange und sie bat ihre Genossen, daß sie an die Thür der göttlichen Barmherzigkeit stärker klopften und ermahnte sie, nicht das Rüstzeug der Keuschheit zu verlieren, mit dem sie drei Jahre dem himmlischen Könige ohne Teufel gedient hätten. Da brachen alle in Thränen aus und riefen gen Himmel, daß die Keuschheit ihrer Königin nicht zu Grunde ginge. Gott aber, der allezeit nahe ist denen, die ihn mit Ernst anrufen, erhörte ihr Flehen. Er ließ einen Wind hervorkommen, der wehte einen Tag und eine Nacht, und sie kamen glücklich und wohlbehalten in den Hafen Tile. Am Gestade, errettet wie einst die Juden vor den Reisigen Pharao’s, stimmten sie ihr Brautlied an, das jubelnd zu den Ohren Zebaoths aufstieg. Am andern Morgen stiegen sie wieder zu Schiff und zogen den Strom hinauf[65] und kamen endlich zur Metropole Germaniens (Cölln), wo nun ihre Gebeine in Frieden ruhen. Da erschien der heiligen Jungfrau Ursula im Traume ein Mann mit englischer Klarheit. Deß erschrak sie, aber der Mann tröstete sie und sprach: »Wisse, Tochter, Du sollst mit Deinem Heere gen Rom ziehen, allda beten und wieder hierher kehren in Frieden. Euer keine soll vorher umkommen. Denn hier ist Euch Ruhe bestimmt von Ewigkeit: denn Ihr habt einen guten Kampf gekämpfet und sollt hier die Last Eurer Leiber ablegen und mit der Glorie der Märtyrer ins himmlische Brautgemach eingehen.« So sprach der Mann und verschwand. Als es Tag ward, berief sie die Jungfrauen zur Versammlung und erzählte Alles; sie aber jubelten, daß sie gewürdigt seien, für den Namen Christi Schmach zu leiden. Sie opferten Dankopfer und zogen stromauf bis Basel, banden ihre Schiffe daselbst fest und pilgerten zu Fuße nach Rom. Sie besuchten allda die Tempel der Heiligen wachend und betend und zogen dann dieselbe Straße gen Basel zurück, bestiegen ihre Schiffe und kamen glücklich wieder nach Cölln. Davor lag gerade das Volk der Hunnen. Die Jungfrauen aber stiegen ohne Arg aus, da ihnen die Milde der Einwohner schon einmal kund geworden war. Da stürzten plötzlich die Horden der Barbaren über sie her wie Wölfe in Schafheerden einbrechen und vertilgten eine unsägliche Menge mit unmenschlicher Grausamkeit. Als nun die Würger zur heiligen Ursula kamen, waren sie vom Zauber ihrer Schönheit gerührt und ihr Fürst selber wie vom Blitz getroffen bequemte sich zu schmeicheln und trug ihr an den Besieger Europas zum Gemahle zu nehmen. Die Jungfrau aber gedachte was Gottes ist und wies solchen Bräutigam ab wie den Fürsten der Finsterniß. Da ergrimmte der Heide und befahl sie zu töten. Von einem Pfeile durchbohrt sank sie zu der herrlichen Schaar ihrer Genossen nieder, der himmlische Edelstein, und abermals getauft in der Taufe des Bluts zog sie mit ihren siegenden Schaaren gekrönt zur himmlischen Burg Cölln, aber die selige und noch seliger durch den unvergleichlichen Schatz sollte durch ihre Befreiung erfahren, wie der Tod seiner Heiligen werth gehalten ist vor dem Herrn. Denn es erschienen den Feinden so viel Reihen Bewaffneter als sie Jungfrauen gemordet hatten, die sie verfolgten und denen sie nicht zu widerstehen vermochten, so daß sie in wilder Flucht alle davon eilten. Da zogen die Cöllner aus den Torn und fanden die Leichname der Jungfrauen, die sie schon von früher her kannten. Sie verehrten sie nicht wie Menschen, sondern wie Gott in menschlichen Leibern. Sie suchten die zerstreuten Glieder zusammen, bedeckten sie und gruben sie ein, legten andere in Särge und in kurzem (wie es noch heute dort zu sehen) ruhten die Ueberreste der heiligsten Jungfrauen zum ewigen Ruhme Cöllns in Frieden. Seit der Zeit hat es Niemand gewagt im Umkreise der jungfräulichen Grabstätte einen Leichnam zu beerdigen. Eine Zeit nachher aber kam ein gottseliger Mann, Clematius mit Namen, durch göttliche Gesichter ermahnt, gleichsam durch eine Gesandtschaft der heiligen Jungfrauen erregt, aus dem fernen Osten, der eine Kirche zu Ehren der heiligen Jungfrauen erbaute.

Es war aber unter dem heiligen Heere eine Jungfrau Namens Cordula, die hatte sich jenes Tages allein in einem Schiffe verborgen, am andern Tage aber freiwillig mit männlichem Muthe gestellt und war so mit gleichem Ruhme der triumphirenden Schaar der Märtyrer gefolgt. Daran soll Niemand Arges haben, sintemal nicht Petrus der Verleugner, noch Thomas der Zweifler von apostolischen Ehren verworfen sind.

Lange Zeit hernach erschien diese heilige Cordula der frommen Helentrud. Sie war über menschliche Kunst wunderbar gekleidet und trug auf dem Haupte einen Kranz von Lilien mit Rosen durchwebt. Sie sprach: »Ich bin eine der heiligen Cöllnischen Jungfrauen, die den Tag des Triumphes überlebend am folgenden sich freiwillig den Henkern gestellt und in Christo sterbend nicht ihre Genossen verlassen noch die Märtyrerkrone verloren hat. Aber meines Namens wird nicht gedacht. Darum bin ich Dir erschienen, daß man meiner am folgenden Tage sich erinnere.« Da nun Helentrud nach ihrem Namen fragte, antwortete die Heilige, sie solle ihr an die Stirn schauen, da stände er eingegraben. Sie gehorchte, sah und las, und erkannte genau den Namen Cordula.

Um die Mitte des 7. Jhdts. soll nun zuerst der h. Cunibert, Bischof zu Cölln, den Leichnam der h. Ursula durch die Erscheinung einer weißen Taube aufgefunden haben. Ein halbes Jahrhundert später entdeckte man die Gebeine einer andern Jungfrau, der h. Cunera, als aber im Jahre 1106 Cölln belagert worden und die Mauern an mehreren Stellen zum Sturze gekommen waren, die Cöllner aber dieselben nach dem Abzug der Feinde wieder herrichten wollten und deshalb den Grund tiefer ausgruben, siehe da erschienen zwei Jungfrauen in himmlischem Lichte strahlend und ermahnten die Grabenden, daß sie der Stätte mehr Ehrfurcht zollten, in der die Schaar der Eilftausend, zu denen sie selbst gehörten, begraben läge. Als die Kunde dieses Wunders sich verbreitete, strömte das Volk zusammen, man fand mehrere Leichname, die feierlich gehoben wurden, und verteilte sie an verschiedene Kirchen, selbst nach Belgien. Im Jahre 1123 kam der h. Norbert, der 1120 den Orden der Prämonstratenser gegründet hatte, nachmals aber Erzbischof von Magdeburg ward, ausdrücklich zu dem Zwecke nach Cölln um Reliquien zu suchen. Er setzte den Seinigen ein Fasten an und auf dringendes Gebet erschien ihm eine von der Zahl der 11000 Jungfrauen, gab ihren Namen und ihre Begräbnißstätte speciell an und ward am andern Tage feierlich gehoben und mit andern Reliquien nach Premontré geschafft.

Im Jahre 1155 begann nun die 9 volle Jahre andauernde allgemeine Aufgrabung des St. Ursulafeldes, die die Auffindung und Hebung von Tausenden von Leichnamen des heiligen Heeres zur Folge hatte. Diese Ausgrabungen leitete der Abt Gerlach von Deutz und nach ihm der Abt Harbernus. Man fand außer weiblichen Gebeinen aber auch männliche Leichname, Särge und steinerne Täfelchen mit Inschriften, auf denen Namen, Titel und Würden der Märtyrer verzeichnet waren. Als Patronin der Stadt Cölln ist aber die h. Ursula mit ihrer Gesellschaft auf dem linken Flügel des berühmten Dombildes abgebildet. In der nach ihr genannten Kirche sieht man aber ein marmornes Grab, geschmückt mit ihrem Bilde, zu deren Füßen eine Taube sitzt, die, als der vorhin genannte Cunibert im Jahre 640 in dieser Kirche die Messe las, von der Höhe des Chores herabflog und nachdem sie sich mehrere Male auf sein Haupt gesetzt, sich in einer Seitenhalle niederließ, wo sie aber bald wieder verschwand. Das ist dieselbe Stelle, wo man beim Nachgraben ihre Leiche mit einer ehernen Tafel, die die Inschrift Sancta Ursula trug, gefunden hatte.

Der heilige Reinold

Der tapferste der vier Haimonskinder, jener berühmten Söhne eines der berühmtesten Paladine Kaiser Karls d. Großen, war bekanntlich Reinold. Allein dieser tapfere Held bekam doch zuletzt Kampf und Abenteuer überdrüßig und beschloß seine Dienste dem Herrn zu weihen. Er legte also niedere Kleidung an und pilgerte durch Deutschlands Gauen. So kam er auch nach Cölln und fand hier Aufnahme in dem St. Petersstifte, wo er sich durch frommen, gottesfürchtigen Wandel auszeichnete, so daß man ihn einen heiligen Mann nannte.

Als nun um diese Zeit Erzbischof Hildebold den Bau des St. Peters-Münster oder des Domes begann, berief er aus allen Gegenden Steinmetzen, Maurer und Werkleute, damit der h. Bau rasch vollendet werde. Reinold, dessen Leben jetzt ganz dem Dienste des Herrn geweiht war, trat auch in die Reihe der Arbeiter und zum Anführer derselben ernannt, ging er ihnen durch das Beispiel des unermüdlichsten Fleißes voran, er schaffte und wirkte mehr, denn vier oder fünf der Rüstigsten. Wenn die Andern rasteten oder zum Imbiß gingen, war er noch immer thätig und trug die schwersten Steine und Werkstücke zum Baue, den er selbst bei Nacht nicht verließ; denn immer konnte man ihn hier im Gebete finden, oder er besuchte die heiligen Oerter der Stadt.

Natürlich ward der St. Peterswerkmann, denn so nannte man ihn, weil er seinen wahren Namen und Stand vor Jedermann sorgfältig verbarg, durch seinen Eifer bald allen seinen Kameraden verhaßt, und sie boten alles was in ihren Kräften stand auf um ihm zu schaden. Allein alle ihre Anschläge wurden zu Schanden. Da sie nun sahen, daß sie nichts gegen ihn ausrichten konnten, so beschlossen sie ihn heimlich aus dem Wege zu schaffen, da sie wußten, daß er jede Nacht bei dem Baue im Gebete wachte oder die Kirchen und geweihten Stätten besuchte.

Zwar offenbarte der Himmel in einem Traumgesichte dem heiligen Manne seiner Feinde Absicht, allein er ließ sich dadurch nicht abhalten, sondern eilte wohlgemuth seinem Märtyrertode entgegen. Als er nun in einer Nacht auf seinem Bußgange bis zu der Stelle kam, wo man später die jetzt niedergerissene St. Reinoldkapelle erbaute, in der Nähe von St. Mauritius, wurde er von den Bösewichtern überfallen und jämmerlich erschlagen. Die Mörder aber steckten den Leichnam in einen mit Steinen beschwerten Sack und warfen ihn in den Rhein, auf daß ihre Missethat also vor der Welt verborgen bliebe. An der Stelle des Rheines aber, wo die Mörder den h. Reinold versenkt, hörten fromme Leute allnächtlich einen gar süßen Gesang und hell glänzte der Strom, als ob es am lichten Mittag gewesen. Keiner konnte sich jedoch dieses Wunders Ursache erklären, bis endlich einer alten kranken Frau eines Nachts, als sie in den heftigsten[68] Schmerzen lag, ein Engel erschien und ihr entdeckte, wie an jener Stelle des Rheins der Körper des St. Peterswerkmanns versenkt liege. Gleich am andern Morgen ließ sich die Frau hinaus zum Ufer bringen, und wirklich sah sie einen Sack über den Fluthen schwimmen, nach dessen Anblick nun, als sie vertrauungsvoll zu Gott gebetet, ihr Gebrechen von ihr wich. Sie zog nun selbst den Sack ans Ufer und alsbald fingen alle Glocken der Stadt ohne alle menschliche Beihilfe an zu läuten und läuteten so lange der Leichnam am Ufer lag. Feierlichst wurde der heilige Leichnam darauf von dem Bischof Hildebold und der ganzen Clerisei in die Stadt gebracht, wo man den ritterlichen Helden, der sich also vor Gott und den Menschen gedemüthigt hatte, an einem goldenen Gürtel erkannte, auf welchem die Worte: »Reinold Herzog von Montalban« gestickt waren.

Durch mancherlei Wunder, die bei dem heiligen Leichnam geschahen, verkündigte der Herr den Gläubigen seine Macht und als die Bürger der Stadt Dortmund, die um diese Zeit auch zum christlichen Glauben bekehrt ward, von den Wunderwerken hörten, wallfahrteten sie gen Cölln und begehrten von dem Bischofe einen Theil der Reliquien, auf daß der Heilige ihre Stadt schütze und sie desto eifriger im Glauben würden. Der Bischof schlug ihnen zwar anfangs ihr Begehren ab, als man aber drei Morgen hintereinander den Leichnam des h. Reinold vor der Klosterpforte stehen sah, so war auch kein Zweifel mehr, daß der Herr dadurch seinen Willen kund getan habe. Der Bischof übergab also den Bürgern den Leichnam des h. Reinold, daß sie denselben nach ihrer Stadt führen sollten. Als nun derselbe über den Rhein gebracht und sammt dem Kasten, in welchem er sich befand, auf einen Karren geladen worden war, um ihn so in feierlichem Zuge nach Dortmund zu führen, fing der Karren, ohne daß ihn ein Mensch oder Pferd gezogen, von selbst an sich fortzubewegen, und stand erst in der Stadt Dortmund still an der Stelle, wo jetzt das St. Reinoldsmünster, wie es noch zu sehen ist, erbaut worden. Der h. Reinold hat sich aber in Kriegsnöthen stets als tapferer Beschützer der Stadt Dortmund erwiesen, denn er hat in glänzender Rüstung auf der Stadtmauer gestanden und mannhaft die anstürmenden Feinde zurückgetrieben.

Frau Richmodis von Aducht und die zwei Schimmel

Um die Mitte des 14. Jhdts. lebte zu Cölln auf dem Neumarkt ein Herr von Aducht, reich und hochangesehen, mit seiner Ehefrau Richmodis. Die zwei Eheleute liebten sich zärtlich, was eins wollte, das wollte auch das andere und ihre Ehe war ein Muster für alle Hauswirthschaften. Da trug es sich zu, daß die Pest im Jahre 1357 auch in Cölln ausbrach und fürchterlich wüthete. Niemand kam mehr zu dem Andern, Jedermann sperrte sich ab und so kam es, daß als Frau Richmodis ebenfalls an der bösen Seuche erkrankte und im Laufe einiger Stunden derselben auch erlag, an eine genaue Untersuchung der Verblichenen, ob sie wirklich tot sei, Niemand dachte, sondern daß man, um Ansteckung zu verhüten, die Leiche so schnell als möglich aus dem Hause schaffte und dieselbe eiligst und in aller Stille auf dem Friedhofe zu St. Aposteln beisetzte. Doch hatte der tiefbetrübte Gatte, um sein geliebtes Weib wenigstens einigermaßen noch im Tode zu ehren, ihr ein kostbares Geschmeide und einen prachtvollen Ring ins Grab mitgegeben. Dieser Umstand war den Totengräbern nicht entgangen, sie beschlossen das Grab zu öffnen und sich jener Kleinode zu bemächtigen. Sie stiegen also um die Mitternachtsstunde in die Gruft hinab und schon hatten sie die Leiche alles ihres Schmuckes beraubt, und bemühten sich eben ihr den etwas festsitzenden Ring vom Finger zu ziehen, als sie sich plötzlich aufrichtete und die Frevler mit großen Augen anstarrte – Frau Richmodis war nämlich nur scheintot gewesen. Die Räuber in dem Wahn, der Geist der Abgeschiedenen wolle ihre Unthat rächen, ergriffen die Flucht und eilten so bestürzt davon, daß sie das Geschmeide sowohl als die Laterne, welche sie mitgebracht hatten, zurückließen. Nicht minder groß war aber das Entsetzen der aus dem Todesschlafe erwachten Frau Richmodis, als sie vollends zu sich kam und sah, an welchem Orte sie sich befand. Sie nahm jedoch nach und nach ihre Kräfte zusammen, raffte sich aus ihrer geistigen und körperlichen Betäubung auf, stieg aus dem Sarge und versuchte nun, die Leuchte in der Hand, aus der Gruft heraus zu klettern und den Weg nach ihrer Wohnung anzutreten. Dies gelang ihr auch, freilich mit vieler Mühe und sehr langsam, allein endlich langte sie doch an ihrem Hause an, wo Alles in tiefem Schlafe lag. Frau Richmodis mußte lange pochen, bis endlich einer der Diener des Hauses aufwachte und durchs Fenster hinaus fragte, wer da sei und so spät noch Einlaß begehre? Als sie dem Fragenden ihren Namen sagte und derselbe auch sofort die Stimme seiner Herrin erkannte, da eilte derselbe von Entsetzen ergriffen hinauf ins Schlafgemach des Hausherrn, weckte ihn und berichtete demselben zitternd vor Angst was er eben gehört hatte. Herr von Aducht aber wollte dem Diener nicht glauben, hieß ihn einen furchtsamen Torn und rief endlich, da derselbe die Wahrheit seiner Aussage mit den feierlichsten Schwüren betheuerte: »Meine Hausfrau kann ebenso wenig vom Tode auferstanden sein, als meine zwei Pferde aus dem Stalle brechen und auf den Söller steigen werden, um von da hinab in die Straße zu schauen!«

Kaum hatte er jedoch diese Worte gesprochen, da ließ sich auf der Treppe ein gewaltiges Trampeln und Poltern hören und mit Grauen sah Herr von Aducht, wie seine zwei Schimmel eben im Begriffe waren zum Speicher emporzuklimmen. Da leuchtete ihm ein, daß der Diener doch die Wahrheit gesprochen haben müsse und daß bei Gott kein Ding unmöglich sei, er eilte die Treppe hinunter, öffnete die Haustüre und siehe vor derselben stand seine Gemahlin im Sterbekleide, vor Frost bebend, aber doch lebendig. Die sorgsamste Pflege verschaffte ihr bald ihre Kräfte wieder, sie lebte noch eine Reihe von Jahren gesund und glücklich mit ihrem Gatten, gab ihm auch noch drei Söhne, allein sie blieb seit dieser Auferstehung doch stets in sich gekehrt und ernst und Niemand hat sie seit dieser Zeit je wieder lachen sehen.

Noch lange zeigte man aber in Cölln das ehemalige Aducht’sche Haus, welches den Namen zum Papageien führte, auch ihr Grab ward lange erhalten, auch ein Gemälde, worauf die ganze Begebenheit abgebildet war, befand sich in der Apostelkirche zu Cölln in der Vorhalle bis zum Jahre 1585, wo dieselbe abgebrochen ward und das Bild wegkam. Noch heute aber zeigt man in der genannten Kirche ein Fastentuch, welches sie aus Dankbarkeit für ihre Errettung aus der Todesgefahr dieser Kirche geweiht und selbst kunstreich gewebt hatte. Auf diesem sind Maria und die Jünger dargestellt, wie sie zum Gekreuzigten flehen, am Kreuze aber liegt ein Schädel, auf dem drei Rosen blühen, aus diesen aber schweben drei Engel hinauf zum Heiland und rechts und links liegen Rittersleute auf den Knieen und beten. Der Schädel aber, die Rosen und Engel beziehen sich auf einen Traum, den sie einst vor ihrer Erkrankung geträumt hatte, aber nicht zu deuten vermochte. Sie hatte nämlich vorher, da ihre Ehe kinderlos geblieben war, oft zur h. Jungfrau gebetet, sie möchte ihr doch Kinder schenken. Da träumte sie einst, die h. Jungfrau trete aus ihrem Bilde, welches in ihrem Schlafzimmer hing, heraus, reiche ihr ein Totenköpflein und aus dem Schädel erhöben sich drei Rosen, aus deren Dufte drei Englein sanft empor wuchsen. Jetzt wußte sie wohl, was der Traum gewollt, der Totenkopf bezog sich auf ihre vorzeitige Beerdigung, die drei Englein aber auf die drei Knaben, die ihr der Herr später noch schenkte. Ein Paar hölzerne Pferde6 als Wahrzeichen dieser wunderbaren Begebenheit sahen noch Jahrhunderte lang von den Speicherfenstern des ehemaligen Hackeneyschen Hauses auf dem Neuen Markte und zum Andenken hat man auch der an ihre Wohnung angrenzenden neuen Straße den Namen der Richmodisstraße gegeben.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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