Sagen rund um Greifswald

Inhaltsverzeichnis

Wie die Stadt zu ihrem Namen kam

Das Wappen der Stadt Greifswald besteht in einem Greife. Dasselbe soll an die Gründung der Stadt erinnern. Da wo jetzt die Stadt liegt, befand sich ehedem ein dichter, fast undurchdringlicher Wald. Rings um denselben war ebenfalls Alles wüst und unbebaut, blos die Gegend um das Kloster Eldena, welches nicht weit vom Ausflusse des Ryks in die See liegt, war angebaut. Da beschlossen die Bewohner des Klosters in ihrer Nähe eine Stadt zu erbauen und sie sandten einige aus ihrer Mitte aus, um einen passenden Platz zur Anlegung derselben auszuwählen. Sie gingen den Fluß Ryk hinauf, wo sie auch eine, wie sie meinten, vortrefflich dazu geeignete Stelle fanden; um selbige aber genau abzustecken, gingen sie ein Stück in den nahegelegenen Wald hinein, da fanden sie auf einem abgebrochenen Baumstamme ein Nest, auf dem saß ein großer vierfüßiger Greif mit einem doppelten Schwanze und brütete. Da hielten sie dies für ein gutes Zeichen und erbauten auch wirklich hier die Stadt Greifswald, der Ort aber, wo das Nest gewesen ist, soll der älteste Theil der Stadt, der sogenannte Schuhhagen gewesen sein. Der Greif aber hat sich weiter in den Wald hinein flüchten müssen, hat aber aus Rache manches Kind aus der jungen Stadt geraubt. An jener Stelle ist es aber immer unheimlich zugegangen, bald hat man dort des Nachts ein großes Weib gesehen, das ein großes Schlüsselbund trug und damit rasselnd eine Heerde Ferkel vor sich hertrieb, bald eine Frau, die eine Heerde schneeweiße Gänse vor sich hertrieb, bald ein schwarzes, bald ein weißes Pferd, welches den Leuten aufhockte und sie so lange drückte, bis ihnen das Blut aus Maul und Nase floß.

Der Rechtspruch

Im Jahre 1451 hat sich zu Greifswald eine wunderbare Begebenheit ereignet. Es lebte dort ein Fleischhauer, der hatte zwei Knaben, der eine war drei, der andere vier Jahre alt. Diese hatten oft gesehen, wie ihr Vater das Vieh schlachtete und da haben sie auch mit einander Schlachtens gespielt. Der Große hat zu dem Kleinen gesagt, er solle sich hinsetzen, er wolle den Ochsen schlachten, und der Kleine hat sich hingesetzt und der Große hat ihn mit der Hand umgestoßen. Einmal haben sie aber auch Ochsenschlachtens gespielt und es ist Niemand dabei gewesen, da hat der Große gesagt: »Ei das pufft aber nicht«, und weil ein Beil dagelegen, da hat er dasselbe genommen und mit den Worten: »Brüderchen jetzt soll es puffen!« dem Kleinen vor den Kopf geschlagen und der ist umgefallen und war tot. Da sind die Eltern außer sich gewesen vor Jammer und Herzeleid, der Rath aber hat beschlossen, den Knaben hinrichten zu lassen, nach dem Gebote, daß wer Menschenblut vergieße, dessen Blut solle wieder vergossen werden. Aber die Eltern haben dem Rathe vorgestellt, wie daß sie schon unglücklich genug wären, daß sie ein Kind durch den Unverstand seines Bruders eingebüßt, es sei doch zu hart, wenn sie auch noch das andere verlieren sollten. Da beschloß denn der Rath zu erproben, ob denn das Kind überhaupt gewußt, was es getan. Sie hießen also dem Knaben sich hinzusetzen, sie wollten ihn als Ochsen schlachten, so wie er seinem Bruder getan. Das Kind aber setzte sich sogleich hin, weil es sich nichts Böses vermuthete, und da haben sie es freigesprochen und am Leben gelassen.

Warum die Greifswalder keine Pferde mehr züchten.

Ungefähr 5 bis 6 Meilen in der See liegt ein Eiland, die Oeche, welches der Stadt Greifswald gehörte. Daselbst war ein dichter Wald, in dem zogen sie die schönsten Pferde, die sie aber eigentlich ohne Wartung ließen und nur im Winter mit dem nöthigen Heu versahen. Es stand aber dort auch eine Kapelle, wo die Fischer, wenn sie auf den Herings- oder Störfang auszogen, Messe lesen ließen. Da ist einmal die Kapelle offen geblieben und im Winter sind die Pferde hineingegangen, aber darin, weil die Tür zugefallen ist, alle elend vor Hunger umgekommen. Seit der Zeit haben sie keine mehr gehalten.

Der Wettlauf um das Opfergeld

Vor der Stadt Greifswald stand ehedem eine Kapelle, der h. Gertrud geweiht, wohin viel gewallfahret ward. Nun war aber einst an einem Feste der Heiligen sehr viel Opfergeld eingekommen, welches der hier angestellte Priester an den Gotteskasten abzuliefern hatte. Da kam der Geizteufel über ihn und er beschloß das Gelb für sich zu behalten. Da er aber auch sonst noch ein frecher und ungläubiger Geselle war, so nahm er das Bild der h. Gertrud vom Altar und stellte es an den Eingang der Kapelle jenem gegenüber und sprach zu ihm: »Jetzt wollen wir sehen, wem das Opfergeld sein wird, wir wollen beide nach dem Altare laufen, und wer zuerst hinkommt, dem soll es gehören!« Nachdem er so gesprochen, lief er nach dem Altare, allein siehe, das hölzerne Bild ward auf einmal lebendig, lief an ihm vorbei und kam eher hin als er. Das Wunder erschreckte aber den Bösewicht nicht, er nahm das Bild ein zweites Mal vom Altare, stellte es wieder an den Eingang und lief abermals nach dem Opfergelde, welches auf dem Altare lag, allein das Bild lief ihm wieder nach und überholte ihn ein zweites Mal. Aber auch dies schreckte ihn nicht, er holte es zum dritten Male, stellte es wieder an den Eingang und lief zum Altare. Diesmal aber kam er allein hin, denn die h. Gertrud blieb stehen und weinte bitterlich, der gottlose Priester aber nahm das Geld und trug es nach Hause, aber schon in der nächsten Nacht ward er schwer krank und nach drei Tagen war er tot und ward auf dem Gertrudenkirchhof begraben.

In der nächsten Nacht um die Mitternachtstunde aber erschien der Teufel auf dem Kirchhofe, klopfte an das Grab des Priesters und rief hinein: »Stehe auf, Pfaff, und laufe mit mir um die Wette.« Da mußte der Tote aus dem Sarge aufstehen, als er aber aus dem Grabe hervorstieg, da packte ihn der Teufel mit seinen Krallen und schleppte ihn fort, wie sie aber an der Kapelle vorbei kamen, da wollte der Priester sich an dem Thürschlosse anhalten, weil er dachte, der Teufel müsse ihn loslassen, allein es half ihm alles nichts, der Teufel riß ihn fort und führte ihn über die Kirchhofsmauer hinweg in sein höllisches Reich. Der Windmüller aber in der benachbarten Windmühle sah dies alles mit an und machte Anzeige davon, als man aber dann den Ort näher untersuchte, da konnte man in der Tür noch die Spuren der Fingernägel sehen, womit der Priester in Todesangst in das Holz sich eingekrallt hatte, auch tiefe Fußtapfen des Teufels waren in den Boden getreten und das Gras ringsherum versengt. Alle diese Spuren sind geblieben und lange zu sehen gewesen, bis die Kapelle weggerissen ward, um aus der Stelle, wo sie stand, einen Wallgraben zu machen. Nach einer andern Sage hätte aber der Teufel den Priester an einen Flügel der gerade stillstehenden Windmühle aufgehängt und seit dieser Zeit sei stets in jener Mühle die Flügelwelle linksum statt rechtsum gelaufen und die Begebenheit sei nicht in der Gertrudenkapelle, sondern in der 1298 erbauten Nicolaikirche passirt.

 Das Nordfenster auf dem Nicolaiturm

Auf dem Nicolaithurme in Greifswald muß der Wächter des Nachts die Stunden durch Blasen anzeigen. Er bläßt aber nur aus drei Fenstern des Turmes, nämlich aus denen nach Süden, Osten und Westen, aus dem nach Norden aber darf er nicht blasen, das leidet der Teufel nicht. Steckt er nur den Kopf aus diesem Fenster, bekommt er vom Teufel eine Ohrfeige, einmal hat aber doch ein Wächter es gewagt aus diesem Nordfenster zu blasen, da hat ihn der Teufel im Nacken gepackt und ihn durch das hohe Fenster kopfüber auf die Straße geworfen, wo er denn auch tot liegen geblieben ist. Seitdem hat es Keiner versucht, aus dem Fenster zu blasen und der Magistrat hat es auch verboten.

Die Spottnamen der Pommerschen Städte

Die Stralsunder führen den Spottnamen »Hans Katte« bei ihren Nachbarn, nicht davon, daß bei ihnen das schon erwähnte Katzenbeißen stattgefunden hat, sondern weil einmal, als sich das Gerücht verbreitet hatte, auf dem Nicolaikirchthurme habe sich ein Fuchs gezeigt und die Bürger mit Wehr und Waffen auf den Turm stiegen, um den Fuchs zu erlegen, derselbe sich als eine gewöhnliche Katze entpuppt hatte, weshalb sie in der ganzen Umgegend verspottet wurden.

Die Greifswalder führen den Spottnamen »der Lammsbraten«, weil, als die Dänen mit einer großen Flotte von ihrer Königin Philippa im Jahre 1429 abgeschickt worden waren, um die Stadt zu zerstören, sie dem Admiral derselben einen Lammbraten geschickt haben sollen, um ihn zu besänftigen.

Die Anklamer führen den Spottnamen »Schweinetrecker«, weil sie einst, als der Herzog von Pommern in einem Schreiben an sie ein Paar Schwäne verlangt hatte, sie falsch gelesen und statt der Schwäne demselben zwei große Schweine geschickt hatten.

Die Einwohner der Stadt Cöslin haben drei Spottnamen bekommen. Der eine hieß »Horsa Cöslin« weil sie einst gegen ihren Herzog Bogislav X. muthig, aber vergebens sich empört hatten. Der zweite war »Musum Cöslin«, weil ihr Bürgermeister Heidenreich einst den Stadtschatz entwendet (gemauset) hatte und damit nach Lübeck entwichen war, wo der dasige Stadtrath ihm denselben aber wieder abnahm und davon einen festen Turm, Musum Cöslin genannt, gebaut hatte. Der dritte bekannteste ist »Sacksöfers«, weil, als zur Zeit der Reformation ein katholischer Barbier in der Trunkenheit, ein Glas Branntwein in der Hand und eine quakende Ente unter dem Arm, so in die Kirche getreten war, sie ihn aber dafür in einen Sack genäht und ersäuft hatten. Sie wurden dafür um 4000 Gulden gestraft und davon kommt das Sprichwort: Cöslin darf eine Thorheit tun und sie dann auch bezahlen.

Auf Rügen werden die Bewohner von Putbus Pooken von den Mönchgutern genannt, und diese wieder von erstern Kollen. Dies kommt daher, weil die Einwohner von Rügen in den Fehden mit den Bewohnern der Halbinsel Mönchgut lange scharfe Messer, Pooken genannt, führten, letztere aber Streitkolben, Kollen geheißen.

Der hochgelobte Adel in Pommern

Unter den reichen Bürgern der Pommerschen Städte gibt es ein Sprichwort, das heißt: »Dafür haben wir den hochgelobten Adel!« Das soll von folgender Begebenheit entstanden sein.

Einst reisete ein Ehepaar von sehr altem Adel, aber desto geringeren Besitzthümern zu Fuß durch Pommern und kam in ein Wirthshaus. Sie setzten sich an den Ofen und verzehrten ihr mitgebrachtes Abendbrod, das aus Brod und Knappkäse bestand. Bald darauf kam eine Kutsche, aus der eine reiche Bürgerfamilie ausstieg. Diese traten auch in die Wirthsstube, ließen sich aber einen Tisch decken und verzehrten auf diesem ihr Abendbrod, welches aus kaltem Braten, Kuchen, Wein und andern Delicatessen bestand. Als dies der arme Edelmann am Ofen sah, da sprach er aus Neid zu seiner Frau: »Sieh! wie sich das Bürgerpack traktiren kann.« Die Edelfrau aber tröstete ihn mit den Worten: »Dafür haben wir den hochgelobten Adel!«

Weh über Pommernland

Im Jahre 1624 hat man in der Luft eine warnende Stimme gehört, die hat laut gerufen: »Weh über Pommerland!« Weissagende Vögel erschienen, schneeweiß von Farbe, nicht größer wie Schwalben, die haben viele Leute gesehen und gehört. So vernahm eine Leinewebersfrau, die von Colbetz nach Selow ging, solch eine warnende Vogelstimme. Dieser Warnungsruf hat sich aber auf den Zug Wallensteins nach Stralsund bezogen und auf die Eroberung und Zerstörung dieser Stadt im Kriege des Jahres 1628, wo sie durch Bomben in Brand gesteckt ward.

 St. Nicolaus

In Greifswald hat in einer der Kirchen, es war wohl die Nicolaikirche, das hölzerne Bild des h. Nicolaus gestanden. Nun brach eines Nachts ein Dieb in diese Kirche, wollte den Gotteskasten aufschlagen und das darin befindliche Geld herausnehmen. Da erhob der hölzerne Heilige drohend seinen Arm gegen den Dieb, der aber war unerschrocken und sprach: »Lieber h. Nicolaus, wir wollen um das Geld einen Wettlauf machen, wer zuerst von der Tür durch das Schiff nach dem Chore kommt, wo der Gotteskasten steht, dem soll das Geld gehören!« Er lief also so schnell als er konnte durch die lange Kirche nach dem Chore, allein der Heilige lief auch und kam weit eher hin. Da sprach der freche Dieb: »Lieber Heiliger, Du könntest fürwahr bei dem Herzog Laufer werden! Allein Dir nützt doch das Geld nichts, drum will ich es lieber nehmen, denn ich kann es brauchen!« Damit nahm er das Geld und ging ab.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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