Sagen rund um Fulda

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 Das Wahrzeichen der Stadt Fulda

Als Wahrzeichen der alten Stadt Fulda gilt die symbolische Arabeske am St. Paulitor. Man sieht dort eingehauen in Stein ein jugendliches Gesicht und ein altes daneben, welches gleichsam durch Schmerz verzerrt ist. Ueber beiden Köpfen liegt ein Geier, der dem jugendlichen Kopf in die Stirne beißt. Zwischen den Flügeln des Geiers bemerkt man ein Kind, welches gleichsam in einem Neste ruht. Vermutlich soll dies den Gedanken versinnlichen, daß man im Alter bitter zu bereuen hat, was man einst im Leichtsinn des Jugendalters verbrochen hatte.

Das Gnadenbild unter dem Schultor

Man sagt, daß jede Nacht um zwölf Uhr ein schwarzgekleideter Kriegsmann auf schwarzem Roß, einen Trauerflor am Helme tragend, mit rostigem Schwert und Feuergewehr nach dem Schultor gesprengt kommt, sobald er aber das im Thorweg hängende Gnadenbild erblickt, schnell wieder umdreht und davonjagt. Das Volk erzählt sich, es sei einst in der Kriegszeit des 30jährigen Krieges ein trunkener Reitersmann gerade um die Mitternachtsstunde zu diesem Tor angesprengt gekommen und habe Oeffnung verlangt. Da ihn aber Niemand hörte, so habe er fürchterlich zu fluchen begonnen, mit seinem Säbel nach dem Bilde gehauen und sogar Feuer auf dasselbe gegeben, allein das Pferd sei darüber scheu geworden, habe sich gebäumt und überschlagen und er sei dann am andern Morgen mit gebrochenem Genicke unter der Leiche seines Pferdes hervorgezogen worden; zur Strafe seines Frevels müsse er nun jede Nacht ruhelos von seinem Grabhügel aus den schauerlichen Ritt nach jenem Tor tun.

Das goldene Rad im Dome zu Fulda

Unter den vielen Heiden, welche der Apostel der Deutschen, Bonifacius, der zu Fulda ruht, dem Christentum zuführte, war auch eine vornehme Frau aus England, die früherhin in ihrer Heimath einen goldenen Stern als ihren Gott angebetet hatte. Aus Dankbarkeit und zum ewigen Andenken an ihre Bekehrung ließ dieselbe aber in der von Bonifacius erbauten Kirche zu Fulda einen goldenen Stern, mit unzähligen Glöckchen besetzt, aufhängen, der bei feierlichen Anlässen gedreht wurde, damit das helle Glöckchenspiel in das feierliche Klingen der Kirchenglocken harmonisch hineintöne. Dieser goldene Stern ist aber im Laufe der Jahrhunderte abhanden gekommen und an seiner Stelle ein eiserner aufgehängt worden, bis am Pfingsttage des Jahres 1781 auch dieser von der Decke des Doms herabstürzte und seit dieser Zeit ist selbiger nicht wieder aufgehängt worden.

Man erzählt hiervon aber noch eine andere Sage, welche also lautet. Es sei einst ein deutscher Kaiser sammt seiner Gemahlin vom Papste in den Bann getan worden und flüchtig herumgeirrt, da wären sie denn auch eines Tages todmüde vor die Pforte des Klosters zu Fulda gekommen, allein hier habe der Pförtner, der in ihnen Excommunicirte erkannt, ihnen dieselbe vor den Augen zugemacht. Darauf hätten sie sich nach dem Dome gewendet und um Einlaß gebeten, damit sie an St. Winfrieds Grabe Buße tun könnten. Aber auch hier schloß man ihnen die Pforte und rief hinaus: »Kein Gebannter darf dies Heiligthum betreten und kein Weib diese Stätte beschreiten.« Da rief die Kaiserin im Zorn und Hohn: »Gut denn, das eben will ich, ich werde in die Kirche reiten!« Kaum aber war sie in frevelhaftem Übermut zur Kirchentür hineingeritten, da schlugen Flammen aus der Erde, die ganze Kirche schien in Feuer zu stehen und das Kirchengewölbe zitterte, als wolle es zusammenbrechen. Da gelobte die Kaiserin in Todesangst, so sie gerettet werde, wolle sie die Kirche mit allem ihrem Reichtum schmücken. Da erloschen die Flammen, und die Kaiserin ließ das Innere wieder aufs Beste herstellen und an der Decke ein goldenes Rad aufhängen, dessen zahllose Glöckchen, wenn sie bewegt wurden, liebliche Melodien erschallen ließen. Sie selbst aber zu Roß ist am Grabgewölbe Winfrieds in Stein ausgehauen zu sehen.

St. Bonifacius Grab

Als der h. Bonifacius im Lande der Friesen durch Mörderhand gefallen und sein Leichnam den Rhein hinauf nach Mainz geschwommen war, da beschloß der dortige Bischof, obwohl der fromme Märtyrer im Leben den Wunsch ausgesprochen hatte, einst zu Fulda bestattet zu werden, ihn im Dome zu Mainz zu begraben und ließ ihn feierlich in die dortige Gruft hinabsenken. Allein als der nächste Morgen herangebrochen war, da stand von keines Menschen Hand berührt der Sarg oben in der Kirche neben der Gruft, in welche man ihn hinabgelassen hatte. Da erkannte der Bischof, daß der Heilige hier nicht ruhen wolle, man setzte also den Leichenschrein auf einen mit zwei Kühen bespannten Wagen und ließ dieselben nach einer ihnen beliebigen Richtung ziehen. Diese lenkten aber das Wägelchen dem Rheine zu, gingen in das Wasser hinein und schwammen mit ihrem kostbaren Gute unversehrt hindurch bis ans andere Ufer, dort hielten sie sich aber nicht auf, sondern sie richteten ihre Schritte gen Fulda und nachdem sie Tag und Nacht ohne Unterbrechung gefahren waren, langten sie endlich hier an und als sie hier an heiliger Stelle ankamen, da erklangen die Glocken von selbst, ohne daß sie Jemand in Bewegung gesetzt hätte, und der heilige Leichnam sank hinab in das selbst gewählte Grab, wo er noch ist.

Der Bonifaciusbrunnen zu Horas

Bonifacius befand sich einst bei Fulda in der Gegend, wo jetzt Horas steht. Während er dem frommen Gebete oblag, kam aber die Mittagsstunde heran, die Sonne warf ihre glühenden Strahlen senkrecht auf ihn herab und es dürstete ihn sehr. Da aber nirgends in der Nähe ein Brunnen zu sehen war, so mußte er sich entschließen, nach einem ziemlich weit entfernten Bache zu gehen. Ermattet griff er nach seinem Stabe, den er neben sich in die Erde gestoßen hatte, allein als er ihn herauszog, sprang ein silberheller Quell aus der Erde hervor, Bonifacius beugte sich voll innigen Dankgefühles nieder, netzte sein heißes Antlitz und trank das kühle Wasser, und von dieser Stunde an ist auch der Bonifaciusbrunnen der ganzen Umgegend ein Labsal geblieben, in Fulda aber erzählen sich die Kinder, daß alle neugeborenen Knaben und Mädchen aus diesem Brunnen herauskommen.

St. Bonifacius Fußtritt

Der merkwürdigste Theil des Burgwaldes ist der hohe Christenberg, von dem mancherlei wunderliche Sagen gehen. Er soll früher Cester- oder Castorberg geheißen haben nach einem Tempel, den hier ein heidnischer Götze Namens Castor gehabt habe. Diesen Tempel hätte aber Karl Martell zerstört und durch den h. Bonifacius sei er in eine christliche Kapelle verwandelt worden. Jetzt steht ein kleines Kirchlein oben, zu dem früher sehr stark gewallfahret ward. Zweihundert Schritte davon zeigt man noch heute einen Fußtritt in einem Steine, der von Bonifacius herrühren soll, als derselbe einst im heiligen Eifer hier mit dem Fuße gestampft habe.

Der weiße Teufel im Dom 

Als der Teufel sah, wie sich der Dom zu Fulda so schön erhob und er aller der Seelen gedachte, die er durch diesen Bau verlieren werde, verlor er vor Aerger die Farbe und wurde kreideweiß. So sieht man ihn noch heute in der Kuppel des Doms, wo ihn St. Michael bewacht, und hier ist er ein Wahrzeichen der Stadt.

Die Rathhaustreppe

Am Rathhausbrunnen in Fulda halten die Mägde ihre Klatschgesellschaften und bis spät am Abend sind hier ihre bösen Zungen in Tätigkeit. Diejenigen aber, welche ihre Verläumdungen nicht widerrufen, müssen nach ihrem Tode mit ihrer Zunge die Rathhaustreppe scheuern, wozu ihnen der Teufel leuchtet. Um’s aber recht sauber zu machen, nehmen sie zuvor am Brunnen das Maul voll Wasser. Daher kommt es auch, daß man oft Morgens die Treppe ganz feucht sieht und dies gilt stets als ein sicheres Zeichen, daß wieder ein böses Maul büßen mußte.

Die Severus-Kapelle

Am Wollenwebersgraben in Fulda steht die Severuskapelle, die einzige Kirche der Stadt, in welcher noch zur Reformationszeit katholischer Gottesdienst gehalten wurde und worin nie Geistliche anderer Confession predigten. Man sagt nun, daß man oft um Mitternacht die Kapelle hell erleuchtet sieht, und wenn man durch’s Fenster hineinlauscht, so erblickt man den Priester vor dem Altar, der das h. Sacrament ausspendet. Das ist eine Geistermesse, welche von Priestern gelesen wird, die im Leben eid- und treubrüchig gewesen sind.

Der lange Hannes

In der Zeit zwischen Fasten und Ostern kommt jede Nacht ein Geist vom Petersberg bei Fulda bis an die St. Nicolaikirche gegangen, dort dreht er aber um und geht denselben Weg wieder zurück. Dieses Gespenst nennt man den langen Hannes. Es soll dieser der Diener eines Propstes auf dem Petersberge gewesen sein, der alles Geld, welches er von seinem Herrn für die Armen erhielt, unterschlug und vergrub. Zur Strafe muß er ruhelos umgehen. Er geht aber bis an die Nicolaikirche, wo das Armenhaus liegt, um zu sehen, ob sein Schatz gefunden und den Armen zu Gute gekommen ist.

Feierabend

Als einmal die Brunnenherrenzeche in Fulda recht lustig im Gange war, da überhörten Alle den Schlag der Mitternachtsglocke. Auf einmal erschien eine fremde geisterhafte Gestalt in dem Saale, packte einen der Gäste und riß ihn mit sich im Wirbeltanz im Saale herum. Dies war der Geist eines Brunnenherrn, der sehr liderlich und schlecht gelebt hatte, und als er eines Abends betrunken aus dem Wirthshause kam, es versah, in die Ohm fiel und ertrank. Seit dieser Zeit macht man bei der Brunnenzeche Feierabend, ehe die Mitternacht kommt.

Die Weides

Einst hatte der Gefährte des h. Bonifacius, der erste Abt von Fulda, der h. Sturmius, sich vor Ermüdung bei der Erbauung des Klosters in dem sogenannten Eichloch bei Fulda an einem Bächlein niedergeworfen, um etwas auszuruhen, da sah er im Traume, wie in dem Hofe des Klosters ein weißes Lämmchen, welches ein Fähnlein auf dem Rücken trug, grasete und wie oben herab eine Stimme rief: »Weid‘ es! weid‘ es!« Er aber schlief fort und das Lämmchen ging nun wie zu seinem Pferch nach der Tür der Kirche und immerfort rief die Stimme: »Weid‘ es!« Dies bedeutete, daß Sturmius der Hirte der jungen Christenheerde zu Fulda sein sollte. Seit dieser Zeit heißt aber der Bach: »Die Weides.«

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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