Eine schöne und adliche Jungfrau und ein edler Jüngling trugen heftige Liebe zu einander, sie aber konnte von ihren Stief-Eltern die Erlaubniß zur Verheiratung nicht erlangen, worüber sie beide in großer Trauer lebten. Nun begab sich, daß ein altes Weib, welches Zutritt im Hause hatte, zu der Jungfrau kam, sie tröstete und sprach: der, den sie liebe, werde ihr gewiß noch zu Teil werden. Die Jungfrau, die das gern hörte, fragte, wie sie das wissen könne? „Ei, Fräulein, sprach die Alte, ich habe die Gnade von Gott, zukünftige Dinge vorher zu entdecken, darum kann mir dieses so wenig, als viel anderes, verborgen sein. Euch allen Zweifel zu benehmen, will ich euch, wie es damit gehen wird, in einem Krystall so klärlich weisen, daß ihr meine Kunst loben sollt. Aber wir müssen eine Zeit dazu wählen, wo eure Eltern nicht daheim sind; dann sollt ihr Wunder sehen.“
Die Jungfrau wartete, bis ihre Eltern auf ein Landgut gefahren waren und ging dann zu dem Lehrer ihres Bruders, dem Johann Rüst, der hernach als Dichter berühmt geworden, vertraute ihm ihr Vorhaben und bat ihn gar sehr, mit zu gehen und dabei zu sein, wenn sie in den Kristall schaue. Dieser suchte ihr einen solchen Vorwitz als sündlich auszureden, der Ursache zu großem Unglück werden könne; aber es war vergeblich, sie blieb bei ihrem Sinn, so daß er sich endlich auf ihr inständiges Bitten bewegen ließ, sie zu begleiten. Als sie in die Kammer traten, war das alte Weib beschäftigt, ihre Gerätschaften aus einem kleinen Korbe herauszuziehen, sah aber ungern, daß dieser Rüst die Jungfrau begleitete und sagte, sie könne ihm an den Augen absehen, daß er von ihrer Kunst nicht viel halte. Hierauf hub sie an und breitete ein blau seiden Tüchlein, darein wunderliche Bilder von Drachen, Schlangen und anderm Gethier eingenäht waren, über die Tafel, setzte auf dieses Tuch eine grüne gläserne Schale, legte darein ein anderes goldfarbenes Seiden-Tuch und setzte endlich auf dieses eine ziemlich große krystallene Kugel, welche sie aber mit einem weißen Tuche wieder deckte. Dann begann sie, unter wunderlichen Gebährden, etwas bei sich selbst zu murmeln und nachdem das geendigt war, nahm sie mit großer Ehrerbietung die Kugel, rief die Jungfrau und ihren Begleiter zu sich ans Fenster und hieß sie hineinschauen.
Anfangs sahen sie nichts, nun aber trat in dem Krystall die Braut hervor in überaus köstlicher Kleidung; eben so prächtig angetan, als wäre heut ihr Hochzeittag. So herrlich sie erschien, so sah sie doch betrübt und traurig aus, ja ihr Antlitz hatte eine solche Toten-Farbe, daß man sie ohne Mitleid nicht betrachten konnte. Die Jungfrau schaute ihr Bild mit Schrecken an, der aber bald noch größer ward, als gerade gegenüber ihr Liebster hervorkam, mit so grausamen und gräßlichen Gesichtszügen, der sonst ein so freundlicher Mensch war, daß man hätte erzittern mögen. Er trug, wie einer der von einer Reise kommt, Stiefel und Sporn und hatte einen grauen Mantel mit goldnen Knöpfen um. Er holte daraus zwei neublinkende Pistolen hervor und, indem er in jede Hand eine faßte, richtete er die eine auf sein Herz, die andere setzte er der Jungfrau an die Stirne. Die Zuschauer wußten vor Angst weder aus noch ein, sahen aber, wie er die eine Pistole, die er an die Stirne seiner Liebsten gesetzt, losdrückte, wobei sie einen dumpfen, fernen Schall vernahmen. Nun geriethen sie in solches Grausen, daß sie sich nicht bewegen konnten, bis sie endlich zitternd und mit schwankenden Tritten zur Kammer hinausgelangten und sich etwas wieder erholten.
Dem alten Weib, welches nicht gedacht, daß die Sache also ablaufen würde, war selbst nicht ganz wohl zu Muth; es eilte daher über Hals und Kopf hinaus und ließ sich so bald nicht wieder sehen. Bei der Jungfrau konnte der Schrecken die Liebe nicht auslöschen, aber die Stief-Eltern beharrten auch bei dem Entschluß, ihre Einwilligung zu verweigern. Ja, sie brachten es endlich durch Drohen und Zwang dahin, daß sie sich mit einem vornehmen Hofbeamten in der Nachbarschaft verloben mußte: daraus erwuchs der Jungfrau erst das rechte Herzeleid, denn sie verbrachte nun ihre Zeit in nichts als Seufzen und Weinen, und ihr Liebster wurde fast in die äußerste Verzweifelung gerissen.
Inzwischen ward die Hochzeit angesetzt und, da einige fürstliche Personen zugegen sein sollten, um so viel herrlicher zugerichtet. Als der Tag kam, wo die Braut im größten Gepränge sollte abgeholt werden, schickte dazu die Fürstin ihren mit sechs Pferden bespannten Leibwagen sammt einigen Hof-Dienern und Reutern; an welchen Zug sich die vornehmsten Anverwandte und Freunde der Braut anschlossen und also in stattlicher Ordnung auszogen. Dieses alles hatte der erste Liebhaber ausgekundschaftet und war als ein Verzweifelter entschlossen, dem andern seine Liebste lebendig nicht zu überlassen. Er hatte zu dem Ende ein paar gute Pistolen gekauft und wollte mit der einen die Braut, mit der andern hernach sich selbst töten. Zu dem Ort der Ausführung war ein etwa zehn bis zwölf Schritte von dem Thor gelegenes Haus, bei welchem die Braut vorbei mußte, von ihm ausersehen. Als nun der ganze prächtige Zug von Wagen und Reutern, den eine große Menge Volks begleitete, daher kam, schoß er mit der einen Pistole in den Braut-Wagen hinein. Allein der Schuß geschah ein wenig zu früh, also daß die Braut unversehrt blieb, einer andern Edelfrau aber, die im Schlag saß, ihr etwas hoher Kopf-Putz herabgeschossen ward. Da diese in Ohnmacht sank und jedermann herbei eilte, hatte der Thäter Zeit, durch das Haus zur Hintertür hinaus zu entfliehen und, indem er über ein ziemlich breites Wasser glücklich sprang, sich zu retten. Sobald die Erschrockene wieder zu sich selbst gebracht war, setzte sich der Zug aufs neue in Bewegung und die Hochzeit wurde mit der größten Pracht gefeiert. Doch die Braut hatte dabei ein trauriges Herz, welche nun der Krystall-Schauung nachdachte und sich den Erfolg davon zu Gemüthe zog. Auch war ihre Ehe unglücklich, denn ihr Mann war ein harter und böser Mensch, der das tugendhafte und holdselige Fräulein, ungeachtet ihm ein liebes Kind geboren ward, auf das grausamste behandelte.