Sagen rund um Paderborn

Inhaltsverzeichnis

Der Name der Stadt Paderborn

Die Stadt Paderborn hat ihren Namen von dem Flusse Pader, der daselbst unter dem Choraltar im Dome aus drei unterschiedenen Brunnen entspringt. Die kleinen Bäche nun, die aus diesen Brunnen fließen, laufen mitten in dieser Stadt zusammen und darum wird dieselbe Paderborn genannt. Der Fluß selbst soll aber von Carl dem Großen den Namen Pader erhalten haben, der in seinem Kriege wider die Sachsen bei Wassermangel durch die Einpfählung seines Zeltes die Quelle desselben entdeckte und zur Erinnerung an den italienischen Fluß Padus (Po) ihn so nannte.

Der Methronborn

Bei Paderborn ist ein Brunnen, Methron genannt, aus welchem drei Bächlein fließen; der eine Bach führt ein klares, helles und warmes Wasser mit sich, der andere ein kaltes, trübes und weißes, von starkem Geschmacke, und der dritte ein Wasser, das grün und klar aussieht und säuerlich ist. Wenn die Vögel aus diesem kalten Bache trinken, sollen sie anfangen zu zittern und sterben, und man hat bei Oeffnung derselben wahrgenommen, daß deren Lunge und Eingeweide ganz eingeschrumpft gewesen sind.

Der Polder- oder Bullerborn 

Eine Meile von Paderborn bei dem Dorfe Altenbeck auf freiem Felde in einer sandigen Ebene, wo man keine Quelle vermuthen sollte, entspringt ein starker Brunnen, der von den Landleuten der Polder- oder Bullerborn genannt wird von dem Geräusche seines Wassers. Früher hat derselbe ebenso wie das Meer seine Ebbe und Fluth gehalten und so oft er mit seinem Wasser nach der Ebbe wieder im Ausfluß gewesen, hat ein Wind die Gipfel der umstehenden Bäume mit vielem Geräusche bewegt, worauf denn das Wasser ausgestoßen ward.

Dieser Brunnen versiegte sonst alle 24 Stunden dreimal, des Morgens um 4, um 8 und um 11 Uhr. Er ist so wasserreich, daß davon drei Mahlgänge umgetrieben werden können; er überschwemmte früher plötzlich mit großem Poltern und Getöse die ganze Ebene und versiegte nachmals wieder im Sande. Als im December des Jahres 1630 die Hessen sich des Stiftes Paderborn bemächtigten, vertrocknete er ganz, als sie aber im Jahre 1631 dasselbe wieder räumen mußten, ist er wieder gekommen. Jedoch hält er nach solcher Zeit keine Ebbe und keine Fluth mehr, sondern fließt beständig.

Das Teufelsbanner

Im Jahre 1657 hat der Teufel zu Paderborn und in der Gegend zu Brackel viele Personen leibhaftig besessen, bis endlich ein Teufelsbanner, der solches zu Wege gebracht hatte, verbrannt wurde, worauf etliche erlöst und wieder in rechten Stand gebracht worden sind.

Legenden vom heil. Liborius

Vor mehr als tausend Jahren sind die Gebeine des heil. Liborius aus Frankreich nach Paderborn gebracht worden. Als man die Gruft, wo sie zuerst geruht, öffnete, drang ein Geruch besser wie Rosenduft daraus hervor und verbreitete sich rings umher. Nachdem man darauf Messen und Lieder über den heiligen Leichnam gesungen, ward er in einen goldenen Sarg gelegt und von greisen, ernsthaften Männern aus Frankreich getragen. So sie hinkamen, sproßten Blumen auf und fremde, nie gesehene Vögel kamen und sangen preisende Lieder. Wo sie im freien Felde übernachteten, quollen klare Brünnlein zu ihrer Erquickung; Segen brachte ihre Reise allen Fluren, durch welche ihre Straße ging. Kamen die Männer mit ihrer kostbaren Last an einen Fluß, so gingen sie hindurch, ohne nur ihren Fuß zu benetzen. Die Dornen am Wege stachen sie nicht und die scharfen Steine ritzten ihre Fußsohlen nicht blutig. So ging die Fahrt viele Tage lang und die Männer wurden nicht müde und sie spürten auch nicht Hunger noch Durst in der ganzen Zeit. Als sie aber endlich den Sarg auf den Hochaltar im Dome zu Paderborn niedergesetzt hatten, da fielen sie tot zur Erde, denn sie hatten ihr Werk vollbracht und gemeine Bürde sollte nicht wieder auf ihren Schultern ruhen. Manches Jahrhundert hatten die Gebeine des Heiligen im Dom zu Paderborn geruht und großer Segen war dem Lande durch einen so mächtigen Patron zugewendet worden, aber mit der Zeit fingen die Leute an gleichgültig gegen ihren Schutzheiligen zu werden, sie glaubten, sie brauchten ihn nicht mehr, die Prozessionen hörten auf und der Tag des heil. Liborius ward nicht höher als ein anderer Festtag gefeiert. Von der Zeit an aber ging es dem Paderbornischen Lande schlecht, Hungersnoth, Krieg und Seuchen brachen über dasselbe herein und die Noth lehrte die undankbaren Bürger wieder beten und der Himmel selbst gab ihnen Zeichen, daß der Heilige sie wieder zu Gnaden angenommen habe. Denn in einer Nacht öffnete sich die große Dompforte und dieselben Männer traten heraus, welche einst die heiligen Gebeine aus Frankreich geholt hatten. Zum zweiten Male ruhte jetzt der goldene Totenschrein auf ihren Schultern und finster und schweigend hielten die Ehrwürdigen mit ihren Reliquien den Umzug durch die Stadt, ganz wie es früher geschehen war. Dann trugen sie den Sarg wieder in den Dom, die Pforte schloß sich geräuschlos hinter ihnen und die ganze Erscheinung war verschwunden. Dies nahmen sich die Paderborner wohl zu Herzen und als wieder St. Liboriustag einfiel, da hielten sie die Prozession feierlicher denn je zuvor und Pest und Krankheit und alles Elend war sogleich zu Ende.

Im dreißigjährigen Kriege ward Paderborn von dem Herzog Christian von Braunschweig belagert und erobert (1622). Derselbe ließ die zwölf silbernen Apostel, die von bedeutender Größe in der Domkirche standen, herausnehmen und Thaler daraus münzen mit der Inschrift: »Gottes Freund, der Pfaffen Feind«, nachdem er sie vorher spottweise ausgescholten, daß sie dem Befehle ihres Meisters nicht besser nachgelebt, der ihnen in alle Welt zu gehen ernstlich anbefohlen, und mit einem Schwur versichert hatte, daß er ihnen diesen Augenblick Beine machen wolle. Derselbe nahm auch den Sarg des heil. Liborius und ließ Goldstücke daraus prägen und die Gebeine führte er in einem leinenen Sacke auf seinen Kriegszügen mit sich. Aber schon nach einem Jahre ereilte ihn die Strafe seiner That, denn um diese Zeit ward er im Münsterischen von Tilly völlig geschlagen und aller seiner Macht beraubt. Da saß er und klagte und rief: »Ach hätte ich den Alten ruhen lassen, er ist mein Unglück«. Darauf schickte er die Gebeine eiligst nach Paderborn zurück, wo sie lange in einer hölzernen Kiste lagen. Endlich als es wieder Friede war, ließ man wieder einen silbernen, ganz vergoldeten Sarg durch den Goldschmied Hans von Dringenberg zu Paderborn für sie verfertigen, in welchem sie noch jetzt liegen.

Der Bischoff Meinwercus

Der Bischof Meinwercus zu Paderborn ward auf eine sonderbare Art vom Kaiser Heinrich II. erwählt. Der Kaiser ließ ihn rufen, gab ihm seine Handschuhe und sagte: Accipe (nimm), der Kapellan Meinwercus sagte: quid? (was?) da antwortete der Kaiser: episcopatum Paderbornensem (das Bisthum Paderborn). Wie nachmals der Kaiser und die Kaiserin am Weinachtsfest zu Paderborn waren, legte der Kaiser ein ansehnliches Geschenk auf den Altar, aber der Bischof gab es zurück und sagte: »Gnädigster Kaiser, das Gut Ervete will ich haben!« Wie nun der Kaiser den Schenkungsbrief auf den Altar legte, da sagte der Bischof: »Gott verlohne es reichlich!« Der Kaiser aber sagte murmelnd: »Gott verzeihe Dir’s, daß Du mich um Alles bringst!« Im Jahre 1022 spielte aber der Kaiser demselben Bischof einen schlimmen Possen. Er ließ unterschiedliche Zettel mit dieser Ueberschrift machen: »Meinwerce, bestelle Dein Haus, denn in fünf Tagen mußt Du sterben!« Der Bischof bereitete sich zu einem seligen Ende, nahm Abschied, fing an zu fasten, damit er sich geschickt zum Tode befinden möchte, legte sich den letzten Tag in ein Gewölbe nieder bis um Mitternacht, wartete mit Schmerzen, ob der Tod kommen würde, darnach stand er aber von seinem Sterbebette auf und that eine gute Mahlzeit. Er hatte indeß gleich Argwohn auf den Kaiser. Sobald der Morgen des sechsten Tages angebrochen war, so kam Kaiser Heinrich II. mit dem ganzen Hofstaat zum Bischof und gratulirte ihm, daß er sobald wieder vom Tode auferstanden wäre. Der Bischof verstellte nun seinen Verdruß bis die Messe angegangen war, da that er den Kaiser und dessen ganzen Hofstaat in den Bann und absolvirte sie nicht eher, bis der Kaiser und die Kaiserin ordentlicher Weise an der Kirchtür Buße getan hatten.

 Der Dombaumeister 

Als man in alter Zeit in Paderborn einen Dom bauen wollte, fand sich beim Graben des Grundes, daß auf einer Seite des Baues der Boden moorig und nicht wohl geeignet war, die ungeheure Last der Mauern und Türme zu tragen, während die gegenüberliegende Seite aus starkem Felsengrunde bestand. Die Rathsherrn wurden aber bange und meinten, der große Bau werde verunglücken, ließen auch den Baumeister rufen und nahmen ernste Rücksprache mit ihm. Der aber schmunzelte und sagte, er werde schon mit seinen Gesellen für den Bau einstehen. Als nun das Werk fertig war und die geistlichen Herren und die Aeltesten der Stadt den Dom besahen, ob auch Alles nach Recht und Ordnung gebaut sei, da fanden sie rechts an einer Säule Männer in einer Stellung ausgehauen, als wenn sie keuchend eine schwere Last trügen. Gegenüber war an einem Pfeiler eine flatternde Fledermaus gemeiselt. Verwundert fragten die Rathsherren den Baumeister, was diese Bilder bedeuten sollten. Da lachte der Meister und sprach: »Rechts hier ist der Boden feucht und locker, deshalb mußten wir hier den Bau mit unserer Kunst stützen und tragen, dort hingegen ist der Grund so fest, daß leicht eine Fledermaus den Dom stützen könnte. Dies ist die Bedeutung der noch vorhandenen Bilder.«

Der Marienbrunnen

Auf dem Jesuitenhofe zu Paderborn steht ein ehernes Marienbild über einem ganz verfallenen Brunnen, von dem man Folgendes erzählt.

Es kam einmal in den heißesten Tagen des August ein Bettler nach Paderborn und flehte um Gottes Willen um einen kühlenden Trunk. Aber, sei es Zufall oder Hartherzigkeit, der Arme ward an allen Türn abgewiesen und konnte nirgends einen Trunk erhalten. So ward es Mittag und immer heißer und der Arme hatte sich immer noch nicht laben können. So schleppte er sich endlich bis zum Jesuitercollegium hin, allein er war viel zu schwach, um die hohen Treppen zu erklimmen und die geistlichen Herren um eine Erquickung anzuflehen. Da gewahrte er im Hofe das Muttergottesbild, er hob zu ihm seine zitternden Hände und rief mit kläglicher Stimme: »Maria, Du Heilige, schaffe meiner glühenden Zunge Labung oder laß mich hier sterben!« Siehe, da kam plötzlich silberhelles, kaltes Wasser aus den Brüsten der Mutter Gottes hervor, der müde Greis labte sich und ging, die heil. Jungfrau preisend, von dannen. Die Väter Jesuiten aber hatten Alles gesehen und beeilten sich das wunderbare Wasser aufzufangen, auch ließen sie an der Stelle nachgraben, viele hundert Fuß tief, aber der heilige Quell war längst wieder versiegt und einen andern fanden sie nicht. So ließen sie endlich die Arbeit liegen, der Brunnen ward nach und nach verschüttet, das Steingeländer zerfiel und verwitterte und heute sieht man kaum noch einige Spuren desselben. Das Muttergottesbild aber steht noch immer finster und ehrwürdig.

Die Domherrnuhr

 Im linken Seitenschiffe des Doms zu Paderborn befindet sich eine kleine Schlaguhr, welche immer um eine Viertelstunde früher geht als die große Turmuhr. Damit geht es so zu. In frühern Zeiten traf es sich oft, daß die adeligen Domherren in Paderborn gleiche Posten in Hildesheim bekleideten. Wohnten diese Herren nun in Paderborn, so hatten sie alle Jahre nur einmal an einem gewissen Tage nach Hildesheim zu reisen, dort dem Hochamte im Dome beizuwohnen und dann ihren Gehalt als Domherren von Hildesheim einzustreichen. Kamen sie aber nicht zu rechter Zeit, so war der Gehalt für das Jahr verfallen. Einer von diesen reisete auch in dieser Absicht nach Hildesheim, kam aber trotz aller Eile erst dort an, als die Messe bereits angefangen war. Wie er wieder nach Paderborn zurückkam, war sein erstes, daß er eine Schlaguhr verfertigen und im Dome aufstellen ließ, welche immer eine Viertelstunde zu früh gehen mußte. Darnach richtete er sich fortan mit seiner Abreise und so kam er nie wieder zu spät. Das ist die noch jetzt im Dome vorhandene Uhr.

Das Stück vom Mantel der Jungfrau Maria im Dom

Als die heil. Jungfrau mit ihrem Kindlein nach Aegypten floh, da hatte sie eine gar beschwerliche lange Fahrt; über Berge und Thäler, durch Schluchten und Felder ging die Reise Tag und Nacht, denn die ordentliche Heerstraße wagten sie nicht zu ziehen, aus Furcht, von den Trabanten des Herodes gefangen zu werden. Nun war aber nicht blos der Weg rauh und dornig, sondern auch das Wetter sehr schlimm und stürmisch, und so kam es denn, daß ihr ärmliches Kleid mürber und mürber von der Reise ward und daß, wo sie an einer Hecke oder einem Dornbusch anstreifte, Stücke und Fetzen desselben hängen blieben; zuletzt konnte sie sich mit den Ueberresten desselben kaum noch verhüllen und so saß sie denn eines Tages unter einer Palme, weinte bitterlich und wollte schier verzweifeln. Da trat auf einmal ein alter Mann zu ihr und fragte die Heilige, warum sie so jammere, und als er ihre Noth vernommen, da zog er seinen Mantel von den Schultern und hing ihn der heil. Jungfrau über. Da sah ihn diese mit einem himmlischen Blick an und rief: »Der Herr wird Dir und Deinen spätesten Nachkommen lohnen, was Du mir thatest!« Damit stand sie auf und setzte ihre Reise nach Aegypten weiter fort.

Nach Verlauf von mehr als tausend Jahren trug es sich zu, daß zu den Zeiten der Kreuzzüge ein Ritter aus dem Paderborner Lande, Hans von Dringenberg genannt, auch nach Palästina zog, um gegen die Sarazenen zu fechten. Allein der Sieg war nie auf der Seite, wo er kämpfte. So geschah es einst, daß, als diejenige Schaar von Kreuzfahrern, zu welcher er gehörte, gerade eine feste Stadt belagerte, er bei einem Ausfall der Ungläubigen von einem Pfeile getroffen vom Pferde stürzte und von den Seinen für tot liegen gelassen wurde. Die Feinde teilten diese Meinung, zogen ihn nackt aus und ließen ihn so in einer Blutlache liegen. Gleichwohl kam er doch nach einiger Zeit zu sich, er öffnete die Augen und sah eine hohe leuchtende Frauengestalt, ein Kind auf dem Arme, von jubelnden Engeln umgeben, vor sich stehen. Nachdem er sich überzeugt, daß er nicht träume, sah er doch endlich bald, daß die heil. Jungfrau vor ihm stehe, und nach wenig Augenblicken sprach dieselbe also zu ihm: »Einst, als ich auf Erden wandelte, war ich in großer Noth, ich hatte nicht soviel, meine Blöße zu decken, da kam ein Mann zu mir, der hüllte mich aus Mitleid in seinen eigenen warmen Mantel und ich verhieß ihm, es solle dies seinen spätesten Nachkommen vergolten werden. Du bist einer von diesen, ich bin daher gekommen Dir zu helfen.« Mit diesen Worten nahm sie ihren sternbesäeten Mantel ab und hing ihn über des Ritters blutige Schulter. Darauf verschwand sie, ehe noch der Ritter ein Wort erwidern konnte. Er aber fühlte sich wunderbar gestärkt, raffte sich auf und gelangte auch wieder in’s christliche Lager. Von dem Tage an focht er aber immer in dem Sternenmantel und stets war das Glück und der Sieg mit ihm. Später kehrte er glücklich in seine Heimath zurück und legte den kostbaren Mantel im Dome nieder. Jeder, der den Dom betrat, suchte sich ein Stückchen von demselben abzuschneiden und so ist es gekommen, daß nur noch sehr wenig von demselben übrig ist, allein dieses Stück wird jetzt mit der größten Sorgfalt aufbewahrt.

Der Brunnen im Dom 

Im Dom zu Paderborn quillt ein tiefer kühler Brunnen. Kein Fremder, der sich den alten Dom zeigen läßt, versäumt es, sich diesen Brunnen anzusehen, denn an ihn knüpft sich eine wunderbare Sage. Man glaubt nämlich, daß auf dessen Boden Schätze von Gold und Edelsteinen ruhen, die mehr werth sind als das ganze Paderbornsche Land, aber Niemand vermag sie zu heben, denn ein schwerer Bann hält sie von alten Zeiten her gefangen. Nur über eins hat der böse Zauber keine Macht, und das ist ein steinernes Muttergottesbild. Jeder, der das rechte Wort und die rechte Zeit weiß, kann das Bild heraufholen. Wem dies aber gelingt, der hat das größte Kleinod der Welt in seinem Besitze. Sobald nämlich das Bild aus dem Brunnen gehoben ist, wird das Haus und die Stadt und das Land, wo es sich befindet, mit allem nur erdenklichen Glücke gesegnet.

Nun begab es sich einstmals, daß auf dem Bischofsstuhle zu Paderborn ein Bischof saß, den es gar sehr verlangte, in den Besitz dieses Marienbildes zu kommen. Er beschloß also die Magie zu studiren, um im Stande zu sein, den Schatz heben zu können. Er las also alle Bücher über Zauberei und Schatzgräberei, die er nur bekommen konnte, durch, aber nirgends fand er etwas angemerkt, was er hätte auf die Hebung der Schätze des Brunnens anwenden können. Darüber ward er denn zuletzt ganz traurig und mißmüthig, allein siehe, da fand sich plötzlich bei ihm ein Mann ein, der ihm verhieß, das Bild aus der Tiefe hervorholen zu wollen. Der Bischof war natürlich über dieses Anerbieten hoch erfreut, allein noch weit mehr darüber, daß derselbe auf seine Frage, was er dafür für Sohn begehre, erwiderte: »Nichts als die Erlaubniß, in diesem von der Mutter Gottes gesegneten Lande wohnen zu dürfen.« Natürlich versprach ihm dies der Bischof und noch weit mehr, wenn er sein Wort halte. Der Mann bat sich nun drei Tage Zeit aus, um seine Vorbereitungen zu treffen, nach Verlauf dieser Zeit kehrte er zum Bischof zurück und forderte diesen auf, mit ihm in den Dom zu gehen. Es war gerade Mittag, als sie in denselben, den sie nachher von innen verschlossen, traten. Sie stellten sich an den Rand des Brunnens und der Fremde fing, nachdem er dem Bischof strenges Stillschweigen auferlegt, an, aus einem Buche eine Beschwörung halblaut zu lesen, dann nahm er etwas wie graues Pulver aus einem Papiere und warf es unter Aussprechen verschiedener Zauberworte in den Brunnen, hierauf las er wieder ein Stück aus dem Buche und warf wieder von dem Pulver hinab und endlich wiederholte er dieselbe Prozedur zum dritten Male, indem er zugleich mit einem Spiegel und Ringe über dem Brunnen wunderliche Zeichen machte. Der Bischof, der zufällig einen Blick in den Spiegel warf, sah, wie sich plötzlich ungeheure Gestalten in demselben zu regen begannen, sie wanden und ballten und bäumten sich. Wie die Geister aber im Zauberspiegel, so bewegte sich das Wasser im Brunnen, es zischte und schäumte und gährte, daß dem Bischof ein innerliches Grauen ankam. Doch nach und nach ward es ruhiger im Spiegel und stiller in der Tiefe, die Bilder verblaßten und das Wasser sank. Endlich war es ganz trocken im Brunnen und eine Treppe wurde sichtbar, die auf vielen Stufen hinabführte. »Harret meiner nur eine kleine Weile«, sprach der Zauberer zum Bischof, »sogleich bin ich mit dem heiligen Bilde wieder bei Euch!« Darauf stieg er die Treppe hinunter und verschwand am Ende durch eine kleine Thür unten im Brunnen. Es dauerte gar nicht lange, so kam er zurück und trug das schwere Steinbild, das ganz grau und verwittert aussah, auf seiner Schulter. So wie er heraufstieg, kam aber das Wasser langsam hinter ihm her und als er oben war, stand es gerade wieder so hoch im Brunnen als vorher. Ein unbeschreiblich angenehmer Duft strömte aber von dem Muttergottesbilde aus, welches der Bischof jetzt mit eigenen Händen auf den Hochaltar stellte. Derselbe fragte nun den Fremden: »Sahest Du denn sonst nichts, mein Sohn, von den köstlichen Schätzen, welche der Abgrund da unten verbirgt?« Der Fremde aber fing an zu erzählen von der Tiefe, wo Paläste von Gold und Burgen von Perlen ständen, wo in duftenden Gärten Demantblumen blüheten, wo die größten Kostbarkeiten bergehoch aufgestapelt lägen, fügte aber hinzu, es liege ein schwerer Bann darauf und wer die Hand darnach auszustrecken wage, dem drohe unfehlbares Verderben. Allein der Bischof war von der gemachten Beschreibung so begeistert, daß er erklärte, es möge kommen wie es wolle, er wolle hinunter und diese Wunder sehen. Zwar bat ihn der Fremde, er möge doch sein Leben und das Heil seiner Seele nicht so leichtfertig auf’s Spiel setzen, nichts half, der Bischof bestand darauf und nöthigte den Fremden, die Beschwörung noch ein zweites Mal vorzunehmen. Dies geschah auch, nur mit dem Unterschied, daß diesmal das Wasser viel unruhiger ward wie das erste Mal. Trotzdem aber ließ sich der Bischof nicht abhalten hinabzusteigen. Als er durch die kleine Thür ging, trat er in ein Thal, welches wie von rosigem Morgenroth umflossen[ war, heiße Wohlgerüche strömten von allen Seiten auf ihn zu und obgleich er tief unten im Schooße der Erde war, war doch Alles glänzend hell um ihn. Dieser Glanz ging aber von sieben goldenen Palästen aus, die in dem Zauberthale standen und mit lauter Edelsteinen und Perlen gedeckt waren. Eilig wollte er darauf zugehen, allein da nickte ihm von den Blumenbeeten eine Rose mit einem so süßen Duft entgegen, daß er sich nicht enthalten konnte, sie abzubrechen. In demselben Augenblick aber hörte er die eiserne Tür zufallen, Alles ward um ihn finster und die Wasser stiegen brausend wieder in dem Brunnen empor. Der alte Bischof ist nie wieder zum Vorschein gekommen, aber auch das Marienbild und der Fremde waren aus dem Dom verschwunden, vielleicht daß ersteres wieder in den Brunnen zurückgekehrt ist.

Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates

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