Inhaltsverzeichnis
Der Poltergeist
Die Stadt Nordhausen ist im Jahre 1710 und 1712 zweimal durch Brand verheert worden, bei dieser Gelegenheit ist namentlich die Sieckel’sche Familie hart betroffen worden, also daß sie zuerst nur ein kleineres, und erst 1720 ein größeres Haus auf der Brandstätte erbauen lassen konnte. Es wohnte daher die ganze ziemlich große Familie in dem kleinen Hause, wo es aber sehr enge zuging, und als nun das große fertig wurde, konnte es der erwachsene Sohn des Hauses nicht erwarten, eine bequemere Wohnung zu erhalten, er zog sofort in eine kaum ausgebaute Kammer in der zweiten Etage. Ohngeachtet nun sowohl die Haus- als Hoftüre des Hauses wohl verwahrt und verschlossen waren, wurde er doch sofort nach seinem Einzuge fast alle Nächte gewahr, daß sich unten vor seiner Kammer, vor welcher eine Treppe vorbei auf den in der andern Etage befindlichen Saal ging, im Hause ein starkes Geräusch und Getrapp erhob, als wenn ein Mensch mit heftigen Schritten in gedachtem Hause herum und von da zu der vor gedachter Kammer belegenen Treppe hinauf und auf dem Saale auf den über die Balken des Fußbodens lose gelegten Brettern oft länger als eine Stunde spazieren ging, und wenn es sich genug hatte hören lassen, alsdann wieder die Treppe herunter, nicht anders als ein starker Mann mit Stiefeln, ging und noch eine lange Weile unten im Hause herumvagirte. Wenn nun der junge Sieckel am andern Morgen aufstand und nach den Türn sah, die er selbst verschlossen und so gut er konnte verwahrt hatte, befand er solche noch in dem alten Zustande, wie er sie verlassen. Dieses nächtliche Spazierengehen und Gepolter, gerade wie wenn Jemand Bretter aufhebe und wieder auf eine andere Stelle lege, begegnete gedachtem Sieckel nicht ein, sondern viele Male, und er ward zuletzt diese Wanderung des Poltergeistes so gewohnt, daß sie ihn nicht mehr störte. Als nun späterhin die übrige Familie in dasselbe Haus zog, hörte zwar das nächtliche Herumspazieren allmählig auf, allein dafür hörten Alle, die in dem Hause wohnten, in der Nacht die von ihnen verschlossenen Türn der Stuben, wo sie schliefen, öffnen und wieder zumachen, sonst aber widerfuhr Niemandem etwas.
Der ungehobene Schatz
Zu Anfange des vorigen Jahrhunderts lag ein junger Mensch in Nordhausen des Nachts auf seinem Bette in seiner Kammer, deren Fenster nach Abend zu gingen, und konnte nicht schlafen. Da hörte er auf einmal eine Stimme, die ihn bei seinem Vornamen rief; allein er antwortete nicht, weil ihm selbige unbekannt war. Da nun keine Antwort erfolgte, so rief der Geist noch ein anderes und drittes Mal, worauf jener denn endlich zu antworten bewogen ward und fragte: »Was soll ich?« Der angerufene Geist erwiederte nun: »Komm heraus und gehe mit mir in den obersten Keller, da steht ein Schatz, den sollst Du heben und davon studiren.« Der Schüler wendete dagegen ein: »Ich komme nicht, es ist jetzt Mitternacht, dunkel und ich fürchte mich.« Der Geist sprach ferner, es solle ihm Niemand etwas tun, er solle nur kommen und mitgehen, der Schatz stehe in dem vordersten Keller und es liege auf ihm eine goldene mit Diamanten besetzte Kugel. Als nun der Schüler sich dennoch mitzugehen weigerte, so fuhr der Geist also fort und sprach: »Siehe, so gewiß sich die feurige Kugel in dem Fenster bewegt, so gewiß soll Dir nichts weiter geschehen.« Indem er nun nach dem auf den Hof gehenden Fenster sah, wurde er mit Verwundern gewahr, daß sich von außen her eine sehr hell spielende, mit feurigen Diamanten besetzte Kugel vor einer zerbrochenen viereckigen Fensterscheibe nicht nur von freien Stücken herumdrehte, sondern auch feurige Strahlen von sich gab, dergestalt, daß durch diese glänzende Kugel die ganze Kammer so hell ward, als wenn ein Licht darin gebrannt hätte. Diese Helligkeit dauerte eine ziemliche Weile. Nachdem nun den Schüler bei einer solchen Betrachtung Furcht erfaßt, so hüllete er sich in sein Bett und sah sich nicht weiter nach der bewußten Kugel um, hörte aber den Geist nochmals vor dem Kammerfenster die Worte rufen: »Komm und gehe mit, oder es wird Dich solches gereuen.« Als er sich aber nicht entschließen konnte mitzugehen und nach einer kleinen Weile seine Augen nach dem Fenster richtete, war die Kugel weg, mithin weiter nichts zu hören. Was es aber für ein Geist gewesen, wofür er sich ausgegeben und was für eine Gestalt er gehabt, konnte der junge Mensch nicht sagen, denn er hatte ihn nur gehört, nicht gesehen.
In demselben Hause ist aber einer Frauensperson in der Küche eine weißgekleidete gespenstige Frau von langer Statur, einen weißen Schleier auf dem Kopfe tragend, von sehr blasser Gestalt und, wie es ihr geschienen, mit langen gelben Zähnen im Munde, in den Vormittagsstunden gegen 10 Uhr, als sie eben in besagtem Hause allein gewesen, erschienen und hat ihr angezeigt, sie solle mit ihr in den Keller gehen und einen verborgenen Schatz, welcher schon dort stehe und ihrer warte, heben. Weil sie nun über solche unerwartete Erscheinung und zugleich erfolgte Anrede gar sehr erschrocken ist und nichts zu antworten wußte, hat der Geist weiter zu ihr gesagt, sie solle sich nicht entsetzen, sondern nur getrost mitgehen, es solle ihr nichts Widriges begegnen, er wolle ihr auch den nunmehr eröffneten Schatz, bei welchem zwar ein schwarzer Hund liege, der aber nicht bellen, sondern stille liegen bleiben würde, bis auf die vorderste Treppe des besagten Kellers tragen helfen, dann könne sie ihn selbst vollends hinauftragen etc. Die Furcht war aber bei der Frau so groß, daß sie dem unbekannten Geiste nicht trauen wollte, sondern ihm seinen Antrag rund abschlug, worauf er ungehalten ward und mit folgenden Worten gegen sie herausbrach: »Dies wird Dich zu seiner Zeit gereuen, denn der Schatz ist Dir bescheert!« Da nun die gespenstige Frau diese Worte noch geredet, hat unverhofft einer ihrer Dienstleute an die Haustüre geklopft, worauf der Geist mit einem ängstlichen Seufzer von ihr gewichen, sie aber dem Anklopfenden die Tür geöffnet, nach wenigen Tagen jedoch in eine heftige Krankheit verfallen ist, welche etliche Wochen gewährt hat.
Der Teufel und der Verwalter
Es hielt sich um die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Verwalter, mit Namen Scheller, eine Zeit lang in der Stadt Nordhausen auf und wohnte in dem Hause eines gewissen Dorfpredigers, welches dieser nach dem Brande von 1718 wieder aufgebaut hatte, um sich eine Stelle zu suchen. Weil er nun ein Fremdling, mithin an diesem Orte unbekannt, übrigens für seine Person sehr dienstfertig und höflich war, so fand er bald mitleidige Seelen, die sich Mühe gaben, ihm eine Versorgung zu verschaffen, ihm aber dennoch keine Station ausmachen konnten. Er lebte demnach von seinen wenigen Mitteln kümmerlich und elend, damit dieselben so lange zureichen möchten, bis er wieder einen Herrn fände, und so gingen wohl drei Vierteljahre hin, daß er keinen Hellers werth einnahm, sondern statt dessen zu seines Lebens Unterhalt unentbehrliche Ausgaben hatte. Man rieth ihm nun, daß er bisweilen ein Paar Stunden lang auf den Rathskeller gehen und bei der Gesellschaft der dort einkehrenden Bürger ein Glas Gose trinken möchte, um sich nur ein wenig in Bekanntschaft zu bringen, weil hier täglich und stündlich fremde Leute kämen, welche ihm vielleicht eine Gelegenheit zu einem künftigen Unterhalt vorschlagen könnten. Weil er aber als ein frommer, stiller Mann solche Oerter nicht gewohnt war zu besuchen, auch sonst nicht viel im Vermögen besaß, so ging er nur hin und wieder einmal hin. So kam es, daß sich ihm durchaus kein Glücksstern zeigen wollte. Da trug sich mit ihm folgende Begebenheit zu.
Er war bei einem guten Freunde gewesen und kam des Abends um 10 Uhr voller Tiefsinn nach Hause, ging auf seine Kammer, welche in der andern Etage gegen Abend zu lag, befahl sich der göttlichen Vorsehung, legte sich in sein Bett und ließ das Licht in der Kammer brennen, konnte aber vor bekümmerten Gedanken zu keiner Ruhe noch Schlaf kommen. Gegen 12 Uhr klopfte Jemand an seine Kammertüre, er stand in der Meinung, daß es etwa Jemand von den Dienstboten im Hause wäre, welcher ihn noch sprechen wollte; er rief also: er liege nunmehro schon im Bette, er möchte nur hereinkommen. Da öffnete sich die Tür und es kam ein schwarzgekleideter Mann herein, der vor sein Bett trat und ihn folgendermaßen anredete: warum er immer so kläglich thue und was ihm fehle? Er antwortete: »Sollte ich nicht kläglich tun, ich habe keinen Dienst mehr, und mein Bischen Geld, welches ich sauer verdient habe, muß ich jetzt verzehren, und da es bald alle ist, woher soll ich armer Mann, wenn solches ausgegeben ist, anderes hernehmen, wenn ich nicht betteln noch der Welt zum Spott leben will? Ich meine also, daß ich hohe Ursache habe, mich über meinen armseligen Zustand zu betrüben.« Da brach dieser Geist in folgende Worte aus: »Wenn darin Deine Noth besteht, so will ich Dir bald davon helfen und Dir Geld verschaffen, Du mußt Dich aber gegen mich auf eine gewisse Zeit verbinden.« Dieser arme verlassene Mann sagte: »Auf diese Art verlange ich kein Geld, Gott solle ihn davor behüten, lieber wolle er dafür arm bleiben!« »Ei!« sagte dieser schwarzgekleidete Mann, »wenn Du die Dir vorgeschlagene Condition nicht eingehen willst, so kann ich Dir auch nicht weiter helfen, denn Gott wird Dir nichts geben, das siehest Du ja wohl, wie es Dir jetzt geht. Wenn Du nun diesen Vorschlag nicht annehmen willst, so thue ich Dir einen andern. Sieh, hier habe ich ein Messer, das nimm und schneide Dir die Kehle damit ab, was bald geschehen ist, dann kommst Du aus aller Deiner Noth!« Der arme Verwalter lag in voller Angst und Schrecken in seinem Bette und konnte aus großer Furcht fast nicht sprechen, sah den schwarzgekleideten Mann und das lange Messer, welches er in seiner Hand hatte, mit großer Verwunderung an und sagte noch die wenigen Worte: »Davor behüte mich mein Gott; weiche von mir, Du böser Geist, Du hast hier nichts weiter zu tun!« Worauf derselbe wieder vor seinen Augen hinwegkam und von ihm weiter weder etwas gesehen noch gehört ward. Diese Begebenheit hat aber besagter Verwalter am andern Tage einem gewissen Geistlichen mitgeteilt und sich dann von diesem Orte wegbegeben.
Die Erscheinung der Mutter
Es hatte im Anfange des vorigen Jahrhunderts eine anständige Frau aus der Stadt Nordhausen ihre Tochter nach Neunheiligen, welcher Ort dem Herrn Grafen von Werther gehört und unweit der Stadt Langensalza gelegen ist, verheirathet und vernommen, daß diese ihre Tochter sehr krank darnieder liege und der Kranken auch wohl kein größerer Gefallen getan werden könne, als wenn die Mutter käme und sie besuche, wozu sich denn auch das nach der kranken Tochter sich sehnende Mutterherz entschloß. Den Abend zuvor, ehe die kranke Tochter wußte, daß die Mutter dahinkommen und sie besuchen werde oder nicht, kam eine Frau, welche einen runden Strohhut auf dem Kopfe trug, in der Nacht vor das Fenster der Tochter, machte solches auf und sah hinein, und blieb auch eine Weile vor dem Fenster in ihrer Tracht also stehen, daß solche die Tochter sowohl als die neben dem Bette sitzende Wärterin mit Augen sahen und die Tochter zur Wärterin sprach: »Das ist meine Mutter«, auch vor Freuden rief: »Liebe Mutter, kommen Sie doch herein, ich habe Sie schon gesehen!« Sie machte demnach das Fenster wieder zu und die Wärterin ging zur Stube hinaus, in der Meinung, ihr aufzumachen. Als sie nun die Haustüre öffnete, war Niemand mehr da, sondern Alles schwarz und stille, so daß sie weder Jemanden auf der Straße mit Augen sah noch hörte und also die Haustüre wieder zumachte, in die Stube kam und der Tochter hinterbrachte, wie ja ihre Frau Mutter, welche sie selbst vor dem Fenster stehen und in die Stube gucken sehen, nicht mehr draußen, sondern wieder weg wäre, über welche Nachricht sich die kranke Tochter sehr betrübte und vorstellte, daß solches unverhoffte Gesicht wohl gar ein Omen einer die Mutter vermutlich zu Hause überfallenden Krankheit sein müsse, da ihr bekannt, daß sie schon bei Jahren und sehr schwächlicher Constitution war. Weil sich nun die Patientin dies sehr zu Sinne zog, wurde sie vor Sehnsucht und starkem Verlangen nach ihrer Mutter des folgenden Tages noch weit kränker als vorher. Was geschah? Die Mutter reiste am folgenden Tage von Nordhausen nach Neunheiligen und kam daselbst des Abends wider Aller Verhoffen gesund an, trat bei ihrer Ankunft zuerst vor das Fenster mit einem Strohhut auf dem Kopfe und rief ihrer Tochter freudig zu: wie sie sich befinde? Ueber welchen Besuch sich ihre Tochter so inniglich freute, daß auch von dem Augenblick an die Krankheit in etwas nachließ und die Wärterin anfing: »Dies ist wahrhaftig die Frau, welche ich vorher gar nicht gekannt, außer daß wir sie gestern Abend in dem Strohhute und in eben der Kleidung und Größe vor diesem Fenster, wohin sie mit dem Finger wies, in unsere Stube haben gucken sehen.« Die Tochter berichtete dieses Alles ebenso und erzählte der Mutter, was gestern vor dem Fenster geschehen und wie sie allda ihre eigene Gestalt erblickt hätte. Davon wußte die Mutter nichts, außer daß sie ein allzustarkes Verlangen zu ihrer kranken Tochter getragen und vor Angst nicht länger im Hause zu bleiben gewußt, sondern hierher getrieben worden.
Luther und Michael Meienburg
In der Kirche zu St. Blasius in Nordhausen hängen die von Lucas Kranach gemalten Porträts des von Kaiser Karl V. geadelten Bürgermeisters von Nordhausen Michael Meienburg und seiner Gemahlin. Dieser machte es wie viele Bürgermeister, er steckte mit dem Walkenrieder Abt, Johann Holtegel, unter einer Decke, beide verpraßten die zu dem Unterhalte der Klosterbrüder bestimmten Gelder und ließen diese fast verhungern. Darüber ward Dr. M. Luther so empört, daß er an seinen Freund Justus Jonas daselbst einen noch vorhandenen Brief schrieb, worin er beide verflucht und Gott bittet, ihr Eigenthum mit Feuer zu vertilgen, und Gott erhörte seinen Wunsch, Meienburg’s Güter wurden durch Feuersbrunst verzehrt.
Die 7 Merkwürdigkeiten von Nordhausen
In ältern Büchern findet man die Sehenswürdigkeiten der Stadt Nordhausen in folgenden zwei lateinischen Versen aufgezählt:
Curia, Rolandus, Saxum, Balista, Canalis, Fons, Aves sunt Nordhusae miracula septem.
(Rathhaus, Rolandssäule, der Stein, das Geschütz und die Künste, Quell und Vogel, das sind Nordhausens sieben Mirakel.)
Das Rathhaus ward im Jahre 1609 aus Quadersteinen erbaut, an seiner südlichen Seite steht unter einem kupfernen Dach der Roland, auf dem Haupte eine Krone, in der Hand ein blankes Schwert. In alter Zeit sagte man zu den jungen Bauernburschen, wenn sie zur Stadt kamen, sie sollten einen Knittel quer in den Mund nehmen, vor den Roland hintreten und fragen: »Roland, was machst Du?« Dann antwortete er: »Nichts!« Der Stein ist ein am Töpfertore befindlicher, früher vergoldet gewesener Sandstein mit der Umschrift um das Stadtwappen: »Anno domini CCCCX. Theodosius 2us nobilissimus hispanus romanorum imperator Anno imperii sui quarto hanc urbem fundavit libertatibus armisque imperialibus ditavit. hilf got maria berat.« Das jedoch erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts angenommene Stadtwappen beweist am Besten, daß der Stein nicht schon 410 nach Chr. Geb. gesetzt sein kann. Das Geschütz, die sogenannte Feldschlange, ist ein alter Feldmörser gewesen, auf dem folgende Worte standen: »Lindwurm bin ich genannt, der Stadt Nordhausen bin ich wohl bekannt. (1519.) Andreas Pegnitzer goß mich.« Unter dem Kanal oder der Wasserkunst ist die von Hans Lagner 1546 erbaute und von Peter Günther 1598 verbesserte Oberkunst im Altendorfe und die Unterkunst des letztgenannten Mechanikers unter der Weide gemeint, die Quelle ist der berühmte Spring beim Kloster Elisabeth, der Vogel aber, ein Adler, bezieht sich darauf, daß früher zwei Räthe in Nordhausen waren, der eine in der Ober-, der andere in der Unterstadt. Beide bestanden aus Nordhäuser Patriciern, allein der der Oberstadt war der mächtigere, und da der der Unterstadt nicht mehr im Stande war, die Mauern der Unterstadt zu erhalten und die Bürger derselben in ihren Fehden mit dem Grafen von Hohnstein 1364 und dem Herzoge von Braunschweig jeden Augenblick einem Ueberfall ausgesetzt waren, so sahen sie sich genöthigt, ihre Gerechtsame an den Rath der Oberstadt abzutreten, der aber dafür versprechen mußte, ihre Stadtmauern wieder aufzubauen. Zum Andenken hieran ward auf dem Platze, wo Neustadt, Rautenstraße und Rumbach zusammenstoßen, eine hohe Säule, auf der sich ein kupferner vergoldeter Adler, der nach der Oberstadt zugekehrt war und einen goldenen Ring im Schnabel hielt, errichtet.
Das Heckemännchen
Am 18. November des Jahres 1726 ward in der Sacristei der Kirche St. Blasii ein versiegeltes Päckchen nebst einem Briefe an den Prediger gefunden. In demselben befand sich ein Heckemännchen und in dem Briefe ward gesagt, daß viele Leute zu Nordhausen solche Dinger gekauft hätten und man den Prediger bitte, in seiner Predigt alle Christen vor solchem teuflischen Wesen zu warnen.
Die Gründung des Waisenhauses
Am 23. August des Jahres 1710 ist zu Nordhausen eine furchtbare Feuersbrunst ausgebrochen, bei welcher zugleich das ziemlich große Haus des Predigers Johann Otto von Grund aus zerstört ward. Es gehörte selbigem eigenthümlich und lag zwischen dem Walkenriederhofe und Steinbackhause. Als man aber am folgenden Tage die Brandstätte aufzuräumen begann, fand man in dem glühenden Schutte eine deutsche Bibel, welche Otto nebst andern Büchern auf seinem Tische stehen gehabt hatte, unversehrt, nur am Schlosse waren einige unbedeutende Flammenspuren sichtbar. Durch diese wunderbare Erhaltung seiner Bibel fand sich Otto so ergriffen, daß er den Ort gleichsam als von Gott selbst geheiligt betrachtete und den Entschluß faßte, die Brandstätte zur Ehre des Höchsten einer Frauenanstalt und namentlich einem Waisenhause zu widmen. Der Rath ging auch auf seinen deshalb gemachten Vorschlag ein und das noch jetzt bestehende Waisenhaus ist in Folge davon erbaut worden. Da nun den 12. August 1712 wiederum eine Feuersbrunst entstand, welche abermals einen großen Theil der Stadt verzehrte, so wurde in dem für Nordhausen so verhängnißvollen Augustmonat ein Brandbußtag angeordnet, der noch jetzt begangen und an welchem jedesmal in einer Betstunde auf dem Saale des Waisenhauses jene Bibel vorgezeigt wird. Sie ist in Duodez und 1698 zu Lüneburg durch Johann Stern gedruckt und verlegt, in schwarzen Corduan mit vergoldetem Schnitt gebunden und mit zwei Schlössern versehen. Ihre merkwürdige Rettungsgeschichte hat ihr früherer Besitzer selbst in sie hineingeschrieben.
Die sieben Kreuze am Siechenhof
Das Local der jetzigen Arbeitsanstalt zu Nordhausen war früher der sogenannte Siechenhof für Aussätzige. An der nun größtentheils niedergerissenen Kapelle waren sieben große Kreuze, aus Sandstein gehauen, eingemauert, vor deren einem ein Priester knieete, mit dem Kelch in der Hand. Die Sage erzählt, daß einst ein Wolkenbruch gefallen sei, dessen Fluthen die Kirche eingestürzt und den Priester nebst sieben Personen, die eben communicirten, mit fortgeschwemmt habe. Zum Andenken an diese Begebenheit wären die Kreuze gesetzt worden.
Die Merwigslinde
Wenn man zum Töpfertore der Stadt Nordhausen hinausgeht und an dem ehemaligen Stadtgraben hinschreitet, so kommt man zu dem sogenannten Kirschberg, einem zu einer Promenade der Stadt eingerichteten Lustwäldchen. Auf dem höchsten Gipfel desselben befindet sich ein sehr alter, am dicksten Ende des Stammes gegen 24 Ellen im Umfange haltender Baum, der den Namen der Merwigs-, Merchens- oder Mährchenlinde führt. Man nimmt an, diese Linde erinnere an den König Merwig, den Frankenkönig, der unter der Regierung des Kaisers Theodosius (s. oben die Sagen von Erfurt) die Stadt Nordhausen erbaut und wie er einst in der Merwigsburg bei Erfurt residirt habe,510 so zeitweilig in dem nach ihm genannten Königshofe zu Nordhausen, der durch den großen Brand am 23. August 1710 zerstört ward, allhier gewohnt habe.
Derselbe habe nun, unter einer Linde sitzend, die Gewohnheit gehabt, Recht zu sprechen, und die jetzt noch vorhandene sei einst an der Stelle der alten, später eingegangenen gepflanzt worden. An dieser Stelle hielten bis in den Anfang dieses Jahrhunderts hinein die Mitglieder der Schuhmacherzunft von Nordhausen anfangs alljährlich, später aber nur jedes siebente Jahr eine fröhliche Versammlung, weil nach einer unter ihnen vorhandenen Tradition jener Merwig eigentlich ein Schuhmacherssohn gewesen, den das Volk seiner Rechtschaffenheit wegen zum König erwählte. Derselbe habe zu Nordhausen residirt, sei aber alle 7 Jahre im Maimonat auf einen der Hügel vor der Stadt gezogen und habe dort der ganzen Schuhmacherzunft einen Schmauß gegeben, auch an diesem der Sonne sehr ausgesetzten Platze eine Linde gepflanzt, welche den nachfolgenden Geschlechtern hier Schatten geben solle.
Original: Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des preußischen Staates